Potenzial beim Choreografen-Nachwuchs

Short Cuts - Choreografien von Mitgliedern des TanzTheater München

München, 31/03/2008

Ein Vergnügen war es - aber nicht ganz unanstrengend. Doch da musste man durch. Schließlich hat auch der Zuschauer die kleine Pflicht, mitzuhelfen, wenn er in Zukunft Neues, Aufregendes auf der Tanzbühne sehen will. „Short Cuts“ hieß das choreographische Labor, in dem sich Mitglieder von Henning Paars Tanztheater München (TTM) am Gärtnerplatztheater kreativ erproben konnten. Neun waren so mutig und entwarfen „kurze Stücke“ für sich und ihre Kollegen. Erfreuliches Fazit: bei all dem Gejammer über den ja tatsächlichen Choreografen-Mangel: An Potenzial fehlt es jedenfalls nicht.

Man hat es bereits in Lobeshymnen besungen: das TTM tanzt auf phänomenal technisch-tänzerischem Niveau. Jetzt konnte man darüber hinaus staunen: diese Tänzer, die in ihren diversen Engagements mit den Werken der großen Meister (und deren Epigonen) bekannt wurden, haben offensichtlich das gesamte moderne und zeitgenössische Schrittmaterial so vollkommen im eigenen Körper gespeichert, dass es beim Selber-Tänze-Machen ganz selbstverständlich aus ihnen herausfließt. Und so sah man an diesem Abend Henning Paars Ensemble, wie es in die weichen runden Linien eines Jiri Kylián hineinschmolz. Wie es im Stil eines Mats Ek erdhaft-skurril agierte. Wie es sich eben noch in William Forsythes schräg verschraubte Vokabeln hineinformte und gleich schon in Kampfsport-Allüre zu Boden rollte, nach Capoeira-Art die Beine hoch kreisen oder in versierter japanischer Butoh-Manier kleinteilig fragmentiert Bewegungen durch den Körper rucken ließ. Sogar das Dauer-Flattern und -Zittern der Hände des jüngsten Trendsetters Marko Goecke war bruchlos integriert.

Alle beherrschen alles. Auch die Wahl der Musik, die Raum-Aufteilung, das Umgehen mit Licht, mit Videos (so weit möglich, bei nur reduziert verfügbarer Bühnentechnik).
Worauf die Jungchoreografen noch hinarbeiten müssen, ist die besondere, die persönliche Handschrift. Was man allerdings jetzt schon hätte erwarten können - denn so ganze Neulinge sind die diesmal Mitwirkenden nicht -, ist das Hinarbeiten auf einen Fokus, ist die Überraschung. Ist, wenn schon nicht erzählte Story, so doch eine spezielle Atmosphäre, die den Betrachter unmittelbar hineinzieht. Zumindest einen Ansatz dazu erahnt man bei David N. Russo mit einer stillen Kriegsversehrten-Skizze. Mauro de Candia zumindest frappiert mit surrealen Szenen (beeindruckend: zwei Tänzer, die sich, zu Löwengebrüll, in ineinander verhakte Raubtiere verwandeln). Carolina Constantinou versteht es immerhin, mit comichaft fremdgesteuerten Marionetten-Menschen zu amüsieren. Der Amerikanerin Loni Landon als einziger gelingt, und das spielerisch unverkrampft, ein Stück aus dem eigenen kulturellen Hintergrund zu entwickeln. Zu einer Collage aus Woody Allens lakonisch erzählten Witzen und Doris Days halb ironisch übersetztem „Que sera“ ist ihr Stück eine spritzige Tanz-Satire, echt made in USA. Wäre es den acht Kollegen aus Holland, Italien, Portugal, Rumänien, Taiwan und Zypern nicht auch möglich gewesen, eine Farbe aus ihrer Heimat hineinzubringen? Den Versuch hätte man wagen müssen - schon um der Gefahr einer zwar hochprofessionellen, aber eben auch schon hochglobalisierten zeitgenössischen Welttanzsprache zu entgehen.

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