Abschied mit Sehnsucht
Dirk Neumann hört als Ballettdirektor am Staatstheater Cottbus auf.
„Komm, süßer Tod“ lässt Steffen Fuchs auf der Kammerbühne Cottbus flehen
Wie eine Kompanie aus je vier Frauen und Männern in einer Spielzeit drei Uraufführungen stemmen kann, bleibt ein Rätsel der freudigen Art. Die kleine Truppe am Staatstheater Cottbus, geleitet von Dirk Neumann und offiziell dem Musiktheater assoziiert, bewältigt diesen Kraftakt. Dass ihr über den fortwährenden Fremdpremieren der Elan nicht ausgeht, eigene Abende zu erarbeiten, passt ins Positivbild vom berufssüchtigen Tänzer, der Selbstausbeutung in Kauf nimmt. Dem Cottbuser Ballett wieder zu einem selbstständigen Status zu verhelfen, klang in Worten des Intendanten Martin Schüler mehrfach löblich an; Taten allerdings folgten noch nicht. Die schafften mit der letzten Neueinstudierung dieser Saison wieder „seine“ Tänzer.
Nach Tom Fletchers Tanzrevue „Welcome, Mr. Gershwin“ und Torsten Händlers Märchenballett „Die kleine Meerjungfrau“ lud Neumann als dritten Gastchoreografen Steffen Fuchs ein. Zehn Jahre hat der gebürtige Hallenser, Jahrgang 1974, bei Uwe Scholz in Leipzig getanzt, sich dann auf freier Basis auch als Trainingsmeister und Pädagoge umgetan. Eine Knieverletzung ließ ihn die eigentliche Berufung entdecken: Trotz gelegentlicher Ausflüge in die Choreografie schon seit 1998 absolvierte er ein zweijähriges Aufbaustudium an der Palucca Schule Dresden und legt mit dem Cottbuser Dreiteiler seine Diplomarbeit als Choreograf vor. „Komm, süßer Tod“ vereint auf der Kammerbühne zwei Stücke ums Thema Sterben und hält sie durch eine heitere Reminiszenz ans Leben auseinander. Musik aus rund 115 Jahren trägt den intimen Abend auf dekorationsfreier Szene.
Viele Choreografen ließen sich von Schuberts Streichquartett d-Moll anregen. Dessen Titel „Der Tod und das Mädchen“ übernimmt Fuchs für sein Duett zum zweiten Satz, wollte sich jedoch weitgehende Autonomie von der Musik und klischierten Erwartungen bewahren. Einzeln betreten Sandrine Berset und István Farkas in Unterwäsche die Bühne, verharren jeder in seinem Lichtrechteck. Sehnend reckt er bisweilen die Hände, fördert Unsichtbares aus seinem Körper zutage; aktiver reagiert sie, springt ihn an, verwickelt ihn in eine Kurzsequenz. Mehr Nähe gestattet der Choreograf nicht in einer zeitgenössisch basierten Konstruktion, die der Musik reichlich Pausen gönnt, durch lange Standzeiten und wenig Erfindung den Kontakt zu ihr verliert. Zwar begibt sich die Frau gegen Ende in die Lichtwelt des Mannes; aus ihr gehen sie wieder einzeln ins Ungewisse ab.
Die Versuche, Mozarts Pariser Ballettdivertissement „Les petits riens“ fürs Repertoire zu retten, sind zahllos. Fuchs ergänzt sie durch eine derbkomische Version bajuwarischen Deppentums. Mädchen in Dirndln, Burschen in kurzen Krachledernen mit Wadenwärmern können sich zu gemeinsamem Tanz lange nicht entschließen, flirten unter den Bändern eines Richtkranzes, tragen Rivalitäten aus, beziehen den ganzen Saal und das Zusehvolk in ihr ohrwatschendes Tändeln ein. Folkloreformen feiern fröhliche Urständ: Wickler, Engeltragen, Stern, Rundtanz. Zwischendrin singt Anna Fischer unvermittelt Schuberts Lied vom Tod und dem Mädchen. Dass der finsterste aller Burschen doch noch unter die Haube kommt, ist der gute Schluss; dass wieder viel Spiel gegen wenig geformten Tanz steht, bleibt ebenso Fazit wie der Zweifel, ob Mozarts anmutig galante Musik, entstanden für ein mythologisches Schäferidyll, diesen Ansatz trägt.
Dramatischen Tod verhandeln Mahlers häufig choreografierte „Kindertotenlieder“ nach Gedichten von Rückert. Anna Fischer, konzertreif von Christian Georgi am Piano begleitet, wird hier zur Mutter, die klangschön den Verlust ihres Töchterleins beklagt. Die vier Tänzerpaare auf diagonalem Lichtstreif setzen sich als Trauergemeinde ins Verhältnis zum Schmerz der Mutter. Dunkel verhangen ist da auch die Richtkrone der „Nichtigkeiten“. Mit dieser auf Spitzentanz gebauten Komposition spannt Fuchs den Raum aus, ergründet originelle Führungen, zitiert in den Umflügen der Frauen seinen Meister Scholz und lässt die Elegie mit dem Solo eines Engels im Lichtrechteck des ersten Beitrags tröstlich enden. Auch in Marek Balaz’ tänzerischer Gestaltung ist dieses berührende Finale der Glanzpunkt eines mutigen Projekts.
Wieder am 30.05., 03. und 07.06., Infos unter www.staatstheater-cottbus.de
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments