Zwischen Erinnerung und Gegenwart

Rubatos neues Solo „reloaded“ sucht den Dialog mit Gerhard Bohner

Berlin, 11/02/2008

Rechts neben der Tribüne in der HALLE an der Eberswalder Straße betritt Dieter Baumann entschlossenen Schritts die Szene. Zwei dünne Holzstäbe trägt er: Sie werden eine knappe Stunde lang sein Inspirationsquell, eine Art Heimat, Messlatte auch allen Tuns; zu ihnen kehrt er immer wieder zurück. Dicht vor den Sitzreihen des beiderseits schwarz ausgeschlagenen, von Scheinwerfern flankierten Raums bringt er die Hölzer in senkrechte Balance, lässt sie wie Mikadostäbchen fallen. Da leuchtet auf dem weißen Hintergrund ein Video auf: Zwei Hände drücken kurze Holzscheite zu einem Verbund zusammen. Sie sind, so zeigt sich später, die Hände des 1992 früh verstorbenen Tänzers und Choreografen Gerhard Bohner während der letzten Proben zu einem nicht mehr vollendeten, namenlos gebliebenen Stück.

Zu zyklisch aufflackernden elektronischen Störgeräuschen, mit denen Lutz Glandien den Abend neben Hölzchengeklacker musikalisch dezent ausstattet, bahnt sich Baumann dicht an der Leinwand mit Übersetzschritten und Schwankbewegungen zeitlupenhaft seinen Weg.

Das erinnert an „SOS“, Bohners letztes Duett für Rubato im Foyer des Hebbel-Theaters. Um ausweglos gebremsten, fast erstarrenden Tanz ging es damals, um trancehaftes Verschwinden hinter einer wie eine Klaviatur schraffierten Wand und unerwartet neuerliches Auftauchen. Das radikal reduzierte Bewegungsmaterial dieses Pioniers gründlichster Recherche hat Rubato bereits mehrfach zum Ausgangspunkt eigener Arbeiten gemacht. Baumanns aktuelles Solo „zukunft_erinnern_reloaded“, gemeinsam mit Jutta Hell entworfen, ist die vierte Version eines Erinnerungsvorgangs, der Bohners Vorgaben aufgreift, sie dem eigenen Körper anverwandelt, auf ihre Zukunftswirkung untersucht.

Auch Videoschnipsel von Baumanns früheren Soli blitzen auf, bringen den Tänzer auf der Bühne mit sich in zeitverzögerten Disput. Wenn die Bilder erlöschen, ist sich der Darsteller auf der Szene selbst ausgeliefert. Dann befragt er die beiden Stäbe wie ein Bewegungsorakel, steht, sitzt, liegt zwischen ihnen, fühlt sich behaust wie unter einem Dach, zeichnet Viertelkreise auf den Boden, strandet wie in einem Richtblock. Stäbe als Grenzmarken, Verlängerung von Möglichkeiten, Sichtbarmachen kleinster Körperauslenkungen. Bisweilen zitiert Baumann seinen Mentor Bohner in dessen Bewegungskargheit, dann wieder erfasst ein Taumel organisch seinen gesamten Körper, wie ihn Bohner so wohl nicht mehr goutiert hätte.

Kurz vor Schluss sieht man im Video den „ganzen“ Bohner sein Holzbündel schwingen. Baumann schleudert dazu korrespondierend wie in einem Tanzkanon seine Langstäbe, schiebt sie kurz vor sich her, ehe er, nun nach links, festen Schritts den Ort der Körperdebatte verlässt. Ein so bewegender wie anregender, dicht gefügter Gegenwartskommentar zu Bohner, eine der besten Arbeiten auch von Rubato und ein hoch konzentriertes, physisch intensives Solo für Dieter Baumann.


Wieder 15.-17.02., jeweils 20 Uhr

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