Mozart tanzt
„Amadeus“ von Jaroslaw Jurasz in Halberstadt
„Dornröschen“ von Jaroslaw Jurasz am Nordharzer Städtebundtheater
Ein kleines „tänzerisches Wunder“ bescherte Ballettdirektor Jaroslaw Jurasz dem ständig größer werdenden Ballettpublikum der Harzregion mit der Inszenierung des Märchenballetts „Dornröschen“ von Peter I. Tschaikowsky. Nach „Der Nussknacker“ und „Cinderella“ präsentiert die aus acht Tänzern bestehende Ballettkompanie des Nordharzer Städtebundtheaters das zauberhafte Märchen während der Vorweihnachtszeit gleich in zwei Fassungen für Kinder und Erwachsene.
1890 in St. Petersburg uraufgeführt, gilt „Dornröschen“ mit dem Libretto und der einzigartigen Originalchoreografie von Marius Petipa als Vollendung des klassischen Balletts, wo Musik und Tanz in einer einzigartigen Synthese wahrlich „märchenhaft“ verschmelzen. Jede große Kompanie versucht sich an der schwierigen wie ästhetisch schönen Choreografie. Jede Primaballerina möchte als Prinzessin Aurora brillieren, jeder Ballerino einmal im Leben Prinz Desiré sein. So findet man gerade an Weihnachten immer wieder neben dem „Nussknacker“ die Geschichte der auf Rosen gebetteten Prinzessin auf den Spielplänen der Opernhäuser, mit einem Corps de ballet von mehr als 50 Tänzern wie beim Staatsballett Berlin oder in Dresden, München, Hamburg, Stuttgart und dem Mariinsky-Theater St. Petersburg, wo „Dornröschen“ seit seiner Uraufführung ohne Unterbrechung auf dem Spielplan steht.
Was aber macht ein Choreograf, wenn er nur acht (!) Tänzerinnen und Tänzer und ein Kinder-und Jugendballett zur Verfügung hat, um den Klassiker auf die Bühne zu zaubern? Der erfolgreiche Ballettdirektor des Nordharzer Städtebundtheaters, gerade mit dem „Theaterpreis 2009“ der Fördervereine des Vier-Sparten-Theaters geehrt, macht es vor. Aus der (Tänzer)-Not macht Jaroslaw Jurasz wie schon beim „Nussknacker“ und „Cinderella“ eine Tugend. Er erzählt für und mit seinen Tänzern, den Eleven des Kinder -und Jugendballetts, der Statisterie des Theaters sowie mit Volker Reichenbecher und der Ballettrepetitorin Nina Schneppmüller als liebenswertem Königspaar das Märchen von der schlafenden Schönen neu. Er berücksichtigt, dass seine Tänzerinnen und Tänzer zwischen solistischen Aufgaben und Gruppenarrangements in schnellem Wechsel von Identität und Kostüm hin- und her pendeln.
Die Tänzer sind auch diesmal in bis zu vier Rollen präsent, wie etwa der technisch brillante Daniel James Butler. Er tanzt nicht nur die schwierige Partie des Prinzen bravourös, sondern gibt als weißer Schmuse-Kater und als fescher Kavalier am Königshof verschiedenen Figuren der neu erzählten Geschichte markantes Profil. Das gilt auch für den charismatischen Stephan Müller als furios tanzende Fee Carabosse, die in Jaroslaw Jurasz‘ Märchenfassung in einen blauen Vogel verwandelt wird und an der Seite von Anja Herm im Pas de deux durch perfekte Drehungen, kraftvolle Hebungen und vor allem athletische Eleganz überzeugt. Technisch bestens vorbereitet und konditioniert erlebt man Timo Felix Bartels, Katia Alves de Alencar, Jaume Bonnin und Ute Karadimow wie auch Anja Herm in mehreren Rollen als Hofdamen, die sich mit burleskem Charme an Eitelkeit und Hofhalten übertreffen, genau wie die Kavaliere und Höflinge mit Slapstickeinlagen. Sie wirbeln als diabolische Vogelmenschen nach den Klängen des berühmten Walzers am unsichtbaren „Faden“ von Carabosse über die Bühne, sind Amme, Freund des Prinzen (schön getanzt von Jaume Bonnin) und halten um die Hand der lieblichen Prinzessin an. Es ist eine logistische Meisterleistung aller Gewerke hinter der Bühne, dass nach der vom Band eingespielten Musik alles in blitzschneller Verwandlung ohne Unterbrechung abläuft.
Hier führt Jurasz eindrucksvoll Disziplin und Leistungsbereitschaft, Motivation und tänzerisches Können seiner kleinen Kompanie vorgeführt, die am Schluss zu Recht mit Standing Ovations und unzähligen Bravorufen bedacht wird. Das Interessante dieser Inszenierung ist freilich, wie Jaroslaw Jurasz in seiner semiklassischen Tanzsprache die Originalchoreografie von Marius Petipa zitiert und an seinen eigenen Schrittvokabeln und Bewegungsfolgen bricht. Dabei vermeidet er eine Überforderung seiner Tänzer durch den Verzicht auf allzu komplizierte Stellen des Originals. Er lässt sich vor allem im Pas de deux des zweiten Aktes und beim Grand pas de deux in den Variationen auf die begrenzten Möglichkeiten und die räumliche Beschränkung der Bühne ein, nutzt die Gegebenheit optimal aus.
Das Ergebnis ist überzeugend und optisch attraktiv, angefangen beim Walzer über das Rosen-Adagio bis hin zum Verzicht auf das berühmte Divertissement mit dem Defilée der Märchenfiguren. Dafür hat Jaroslaw Jurasz mit der geschickten Dramaturgie von Aud Merkel die weiße Katze als Weggefährte der Prinzessin beigegeben und dadurch deren Geschichte tänzerisch und vor allem im pantomimischen Spiel aufgewertet (hinreißend hier Daniel James Butler mit akrobatischen Einsprengseln als „verliebter“ Kater). Auch dem blauen Vogel (Anja Herm) kommt als Werkzeug der Carabosse, die sich blitzschnell selbst in einen solchen verwandelt, eine andere Bedeutung zu. Beide werden vom Prinzen ihrer bösen Kraft beraubt, dann Dornröschen geschenkt und von ihr in die Freiheit entlassen.
Alles andere als laienhaft tanzt das Kinder -und Jugendballett als Dienerschar, Vogelschwarm und Blumen, sorgt im wunderschönen Rosen-Bühnenbild von Kordula Kirchmair-Stövesand für tänzerische Aktion. Liebevoll im Detail hat die Ausstatterin eine märchenhafte Schlosslandschaft mit Zinnen, Türmchen, Treppen und Thronsaal gestaltet, der sich wie von Geisterhand bewegt und in ein verwunschenes, von Rosenhecken umwuchertes Schloss verwandeln kann. Zauberhafte Kostüme und Frank Möllers fantastische Bildprojektionen von Rosen, Jahreszeiten und Schlosslandschaften machen die Aufführung zu einem nahezu ungetrübten Erlebnis, wenn man davon absieht, dass sich gegen Ende kleine Konditionsschwächen und Unsicherheiten einschleichen. Wie aber Tiana Lara Hogan als graziles Dornröschen zwischen kindlicher Unbeschwertheit und nach dem Kuss auf dem Rosenbett in ihren Prinzen verliebtes junges Mädchen tanzt und Kimiko Koo als in Goldlamé gewandete „gute Fee“ (im Original ist es die Fliederfee), das hält auch Vergleichen mit den Aufführungen großer Kompanien stand.
Bei der Verleihung des Theaterpreises an Jaroslaw Jurasz mahnte der Laudator mit den Worten: „Ich hoffe, dass Jaroslaw Jurasz mit seinem Ballettensemble weiterhin ein künstlerisches Aushängeschild des Hauses bleibt, damit das Ballett im Fokus der künstlerischen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit bleibt (…) und es den Kulturverwaltern schwer gemacht wird, bei allen Sparmaßnahmen (…) die Ballettsparte, wie vielerorts schon geschehen, als erstes zur Disposition zu stellen.“ Nach dieser erfolgreichen Premiere würden für solche Entscheidungen jegliche Argumente fehlen. Große und kleine Zuschauer können sich in den nächsten Wochen davon überzeugen.
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