Virtuoses Puzzle aus Visionen
In Gera fragt Peter Werner-Ranke „Dix 2011“ nach seiner Bedeutung für die Gegenwart
In Thüringen hat man besonderen Grund, den 90. Geburtstag des Bauhauses zu feiern, war es doch Weimar, wo Walter Gropius 1919 die einflussreichste Gestaltungsschule der Moderne begründete. Wenngleich er den Bau als Endziel allen künstlerischen Tuns postulierte, reichte die Wirkung der Bauhäusler in nahezu alle Kunstbereiche hinein, ins Theater etwa durch Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ und seine Tätigkeit für die Dessauer Bauhausbühne. Doch auch Gera kann mit mehreren Bauhäuslern punkten. Bei einem von ihnen ist der Tanz fündig geworden: 1923 zeigte Kurt Schmidt in Jena sein „Mechanisches Ballett“. In Jena gingen auch die ersten Industrieprodukte des Bauhauses in Serie. An den Bühnen der Stadt Gera geht nun eine Hommage an Schmidt (1901-91) in Serie. Für die Kammerbühne entwarf Peter Werner-Ranke mit „Déjà-vu: Mensch und Form“ einen Bilderbogen tänzerischer Stile, der sich vom Heute aus mit den Lehren des Bauhauses auseinandersetzt. Und tat gut daran, diese Lehren nicht wiederzubeleben, sondern lediglich zu zitieren und auf das zu befragen, was von ihnen bis in die Gegenwart hinein fortwirkt.
Geometrische Formen wie Quadrat und Kreis segmentieren in Jan Hofmanns Szenerie klarfarbig den Boden, auch ins Hellblau des Hintergrunds sticht spitz ein gelbes Dreieck hinein. Menschen ballen sich im Dunkel unter elektronischem Wassertropfen zu einer Liegeskulptur, deren Posen ein Video aufgreift, mit Großaufnahmen von Hand, Haar, Auge überlagert. Als sich die Plastik entkernt, bleibt eine Kauernde im langen Kleid des Ausdruckstanzes übrig. Auch das Schrittmaterial ihres Solos erinnert jene fernen Zeiten. Die einstige Palucca-Schülerin Karin Schneider verkörpert die Frau dezent und versonnen, umschreitet immer wieder die Fläche, auf der sich in vielen Einzelbildern Tradition und Gegenwart begegnen. Niemand tanzt heute mehr so wie die Baushäusler; ihre Formexperimente haben jedoch tiefe Spuren im Bühnentanz hinterlassen. Das zeigt der junge Mann, der sich der Versonnenen zugesellt, zum Gemisch aus Wort und Geräusch akrobatisch über die Ornamente hechtet, die Frau liebevoll birgt. In der Folge ziehen Figuren wie ein fröhlich ironisch gemeinter Fries vorüber. Zwei Ballerinen lassen ihre glatten Tellertutus wippen, spielen fast showhaft mit der Form, lenken grinsend das Becken aus. Mehrfach ruft der Choreograf ins Gedächtnis, dass auch im klassischen Kanon bloße Form zelebriert wird: hier im Auftritt der Schattenwesen aus „La Bayadère“ zu einem zarten Walzer von Erik Satie. Wenn die Frauen ausbrechen wollen, fängt sie die Strenge der Posen wieder ein. Was jener junge Mann, als der Martin Svobodnik sensibel und präsent den Abend prägt, dann mit dem Solo einer modernen Marionette einleitet, kulminiert im Schlemmer-Zitat. Dessen „Stäbetanz“ von 1927/28 verlängert die menschlichen Gelenke durch raffiniert leuchtende Stäbe, macht in der Bewegung über parallele, einander schneidende Linien und spitze Winkel die Kinematik des Körpers sichtbar. Ein virtuoses Duo federt den Effekt ab, ehe vier Figuren aus Schmidts „Mechanischem Ballett“ ihn vertiefen. Schlierige Farbflächen aus Pappe verdecken die Extremitäten der Tänzer, verschieben sich beim Gehen gegeneinander, entwickeln Eigenleben. Im Stroboskoplicht rucken die Figuren zu elektronischem Dada wie Krieger in abstrakten Rüstungen.
Der Teil nach der Pause setzt die Recherche im amüsanten Spiel von vier Paaren mit Würfeln und besitzbaren Gebilden fort. Nochmals kommt Schlemmer zum Einsatz: Elena Tumanova wird mit winkligen Armen unter einer von ihm entworfenen Vollmaske zur traurigen Groteskgestalt, die gern frei wäre und in Svobodnik unter gleicher Maske schließlich einen manipulierbaren Partner findet. Der grundierende Spielautomaten-Walzer steigert die Wirkung. Dann treffen sie letztmals zusammen, Tellerballerinen, Stäbemann und Gliedergestalten, Kugel- und Glockenfrau sowie Menschen mit Pappmasken. Ein Trio setzt Hebungen von Uwe Scholz dagegen, bis alle zehn Frauen und neun Männer demaskiert zum berühmtesten Schostakowitsch-Walzer ins Heute und die Bodengliederung des Anfangs zurückkehren. Die Versonnene steht nun betrachtend außerhalb. Peter Werner-Rankes Streifzug durch die Tanzgeschichte unterhält, vermittelt nachdenklich Wissen und hätte sicher auch die Bauhäusler überzeugt.
Wieder 26.3., 7.5.,
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