Tabula Rasa in Köln
Aus für Richard Siegal und sein Ballett of Difference
Es sind die Nachtgebete, mit denen Bitten und Hoffnungen gen Himmel geschickt werden. „Night prayers“ – Nachtgebete, nennt Choreograf Slava Gepner auch sein Tanzstück, das jetzt in den Spichernhöfen Premiere hatte. Doch wer eine Rückbesinnung auf Religiösität, ein Innehalten im Alltäglichen vermutet, liegt falsch. Zwar tönt es „saint, saint“ (heilig) zu einer psychedelischen Soundcollage in meist unerträglicher Lautstärke aus den Lautsprechern. Wenn es aber bei Gepner „im unerfüllten Menschen gärt“, dann wegen profaner Alltagsprobleme, etwa dem „monotonen Rhythmus zwischen Stadtverkehr und Wohnzimmer“ (Programmheft).
Drei Tänzerinnen und ein Tänzer mühen sich nun qualvoll lange 100 Minuten durch einen choreografischen Hindernis-Parcours aus zwei rechtwinkligen Platten, die ständig gelegt, gekippt, gerichtet und verschoben werden und mal Räume, Höhlen oder Rampen bilden.
In der Einfachheit liegt die Stärke. Doch die Wirkung dieser an sich grandiosen Gestaltungsidee verpufft. Wie Möbelpacker sind die Tänzer ständig in Aktion, die mannshohen Winkel umzusetzen. Ein Innehalten kennt das Stück nicht, allenfalls ein Anhalten, das gleich wieder in Hektik ausartet. Dann zucken wieder die Schultern und zappeln die Glieder, aber zum wirklichen Tanz, der nicht nur wie eine Showeinlage wirkt, sondern das inhaltliche Anliegen voranbringt, findet die Choreografie nicht. Dabei mühen sich die Tänzer redlich. Allen voran Robina Steyer, die erst kürzlich mit ihrem großartigen Solo „Perditus“ zum Solotanz-Wettbewerb in Budapest ausgewählt wurde. Auch deren tänzerischem Potential scheint die Choreografie nicht zu vertrauen, verzettelt sie in einem eklektizistischen Bewegungsvokabular statt ihre tänzerische Ausdruckskraft zu nutzen. So bleiben die vier Akteure ohne Profil, jagen sinnentleert von einem Lichtkarree ins nächste. Choreograf Slava Gepner macht noch nicht einmal den Versuch einer Charakterisierung.
Unentschlossen schwankt das Stück zwischen Abstraktion und vordergründiger Realitätsdarstellung. Videoprojektionen mit Alltagsszenen und Tänzerportraits greifen da ein, wo der Tanz versagt. Architektur, die uns lebt? Monotoner Lebensrhythmus? Alles wesentliche Fragestellungen. Doch wo ironische Distanz gefordert wäre, hängt über dem Stück eine triefende Ernsthaftigkeit, die manche Szene, etwa „einsames Abendessen“, schon wieder ins Komische abrutschen lässt. Die Inszenierung scheitert an den hochtrabenden Ansprüchen des Choreografen, der seine Fähigkeit, abstrakte Fragestellungen in Tanz umzusetzen, völlig überschätzt hat. Die Monotonie des Lebens, hier liegt sie schon symptomatisch in der Inszenierung selbst.
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