Das Kaninchen ist (nicht) tot

Heiter-hinterhältig: „Il faut que je m’absente“ von Philippe Saire

Zürich, 09/02/2009

Ich muss weg von hier: das bedeutet der Titel “Il faut que je m’absente”, den Philippe Saire über sein jüngstes Werk gesetzt hat. Es wurde vergangenen November in Lausanne uraufgeführt und kam jetzt nach Zürich ins Theaterhaus Gessnerallee. Vom Weggehen, Abhauen, Verschwinden, Sich-unsichtbar-Machen also handelt das Tanzstück der Compagnie Philippe Saire. Vordergründig spielt es im Zirkus. Vier Tänzer (Pablo Esbert Lilienfeld, Matthieu Guénégou, Mickaël Henrotay Delaunay, Mike Winter) und eine Tänzerin (Alexandra Macdonald) balancieren herum, rocken, steppen, machen Luftsprünge und üben sich in Contact-Improvisation.

Dazwischen führen sie Zaubereien vor, die mal gelingen, mal nicht: Ein Mensch verschwindet spurlos unter einem Lampenschirm, wohl durch eine Lücke im Boden. Ein anderer sollte hinter einem Fledermausmantel abtauchen, doch kriegt das Publikum den Trick mit. Ein Magier holt ein Kaninchen aus seinem Hut: Hübsch und weiß, aber leider tot. Lange liegt es reglos auf der Bühne. Doch am Schluss – einem vorbeiziehenden Vorhang sei Dank – rappelt es sich auf und hoppelt davon. Ein Happy-End – wäre da nicht jener Zirkusmann, der immer noch an einem Seil von der Kuppel hängt. Freiwillig oder unfreiwillig? Lebendig oder tot? Letzteres wäre gut möglich, denn etliche Zirkusnummern gleiten ins Makabre ab.

Gleich zu Beginn wird der Ansager von einem Fremden angegriffen und gnadenlos verprügelt. Alexandra Macdonald mit Hasenohren auf dem Kopf trippelt erst neckisch herum, muss dann aber bald einmal um ihr Leben rennen. Die vier Männer in weißen Anzügen machen nicht nur Show, sondern reißen sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Alle miteinander sind Zirkusplayer, Spaßmacher, aber auch Verfolger und Verfolgte, Folterer und Gefolterte. Eine Szene mit einem Mann in Unterhose und Kapuze über dem Kopf erinnert von fern sogar an Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. So treibt man mit Entsetzen Scherz, mit Scherz Entsetzen. Philippe Saire hat “Il faut que je m’absente” in enger Kooperation mit seiner Kompanie erarbeitet, unterwegs auf einer Tournee. Das Sounddesign von Christophe Bollonde verwendet Stille und Lärm, Musikfetzen und Naturgeräusche.

Saire gehört in der Schweiz zu den wichtigsten Repräsentanten der freien Szene. Der Tänzer und Choreograf führt in Lausanne ein eigenes kleines Theater, das Théâtre Sévelin 36. Er knüpft Fäden zwischen West- und Deutschschweiz, expandiert mit seinen Stücken ins Ausland und lädt andere freie Gruppen nach Lausanne ein. Nach dem Gastspiel in Zürich reist die Kompanie nach Indien. Im Oktober wird „Il faut que je m’absente“ im Rahmen des Theaterfestivals euro-scene 2009 in Leipzig zu sehen sein.

www.philippesaire.ch

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