„NEONS Never Ever, Oh! Noisy Shadows“ von Philippe Saire

„NEONS Never Ever, Oh! Noisy Shadows“ von Philippe Saire

Wo die Liebe hinfällt

Pick bloggt über die verschiedenen Spielarten der Liebe beim Sommerblut-Festival in Köln

Jasmine Morands „Lui & Artemis“ und Philippe Saires „NEONS Never Ever, Oh! Noisy Shadows“ standen diesmal auf Günter Picks Theaterkalender.

Köln, 19/05/2016

Das Sommerblut-Festival gibt es nun seit 15 Jahren und es bringt neben eigenen Produktionen auch interessante Gastproduktionen der internationalen Szene nach Köln. Es ist ein Theaterfest, und da der Tanz sich glücklicherweise noch nicht ganz abgekoppelt hat vom Theaterspielen, und nur Spitzenklassen und Körper-Verdrehungs-Kunst auf die Bühne bringt, kann er auch hier dabei sein. Die Produktionen in der Tanzfaktur hat die Leitung des Festivals in Doppelabenden angeboten, man sieht also mehr, denn für ein Ticket bekommt man zwei Produktionen.

Was ich gesehen habe, war ein Import aus der Schweiz, wo es, wie man weiß, eine lebendige Freie Szene gibt, die auch gut gefördert wird. Der Schweizer Konsul Thomas Casura war aus Düsseldorf angereist, hielt eine launige Rede aus dem Stegreif und auch die Kölner Kulturreferentin Susanne Laugwitz-Aulbach ließ es sich nicht nehmen, passende Worte zu sagen und alle freuten sich über das besonders gute Catering, das die Schweizer spendiert haben.

Das erste Stück „Lui & Artemis“, weniger erzählend als darstellend, brachte einen Zustandsbericht über ein alterndes Paar mit all seinen Abnutzungserscheinungen. Die beiden Tänzer mussten ihre Zuneigung oder Probleme weder singen noch deklamieren, wie bei den anderen Theaterformen, sondern eine eindrucksvolle Körpersprache transportierte, was man uns mitzuteilen hatte. Menschen, die sich mit Rudolf von Laban, dem Lehrer von Kurt Jooss, der Wigman und deren Schülern auseinandergesetzt haben, werden das alles wiederfinden, mit sparsamster Mimik. Gerade die war Laban wichtig, ja es gab sogar Versuche mit verhülltem Gesicht die Köpersprache zu unterstreichen. Grimassen schneiden und übertriebenes Pathos, wie noch im frühen Stummfilm des 20. Jahrhunderts zu sehen, sollten reformiert werden. Als Kontrast dazu ist uns dagegen bis heute die Commedia dell’arte geblieben, die in einer anderen, eher prall komischen Weise vorführt, wie Theater und Tanz in herrlicher Künstlichkeit, einen großen und ganz anderen Reiz haben können.

Die Choreografin Jasmine Morand hat ihrer edlen Zeichnung kein Bühnenbild gewährt, sondern über die ganze Breite der Bühne erstreckt sich eine Art bedeckte Bank, auf der die beiden Tänzer zunächst mit dem Rücken zum Publikum sitzen. „Lui & Artemis“ so der Titel. Artemis heißt tatsächlich so (Artemis Sacantanis), aber er nicht Lui, sondern Peter (Peter Jolesch). Beide haben den Großteil ihrer Karriere an der Staatsoper und am Staatstheater am Gärtnerplatz in München gemacht, bis sie das Rentenalter erreicht haben. Ihnen ist das Stück auf den Leib choreografiert, und wie sie da sitzen, sagt alles aus über ihren nicht sehr aneinander interessierten Zustand. Ob das privat so ist, entzieht sich meiner Kenntnis, muss uns auch nicht interessieren.

In dieser manchmal lähmenden Atmosphäre musste ich oft ans Nederlands Dans Theater III denken, wo auch Stücke für Pensionisten aufgeführt wurden, aber sie mussten oder wollten immer noch tänzerische Kunststücke machen, passend zur heutigen Einstellung, dass wir nicht altern ... Die zurückhaltende Jasmine Morand folgt diesem Zeitgeist nicht, sondern konfrontiert uns mit der Langeweile des Alters, ohne dass ein TV auf der Bühne stehen muss, denn die beiden Künstler lassen diese „lange Weile“ nicht zum Überdruss werden, und da ich beide persönlich kenne, weiß ich, dass sie nach wie vor im besten Alter sind, und wie im Stück natürlich ihre Hoch und Tiefs haben. Und Sacantanis setzt auch ihre blanke Haut ein, um den Macho? Jolesch mal aus der Reserve zu locken. Das hätte ich mal von ihr verlangen sollen, aber die Zeiten haben sich, wie man sieht, geändert und da gehen auch Inhibitionen verloren, es lässt aber auch die verdienstvolle, einfühlsame Führung der Choreografin ahnen.

Das zweite Stück „NEONS Never Ever, Oh! Noisy Shadows“ widmet sich, wie übrigens das gesamte Festival, ebenfalls einer Spielart der Liebe, nämlich der zweier junger Männer, ohne das bei ihnen offensichtlich nicht notwendige andere Geschlecht. Eine ebenso nicht unbedingt die Massen interessierende Situation. Und leichte Kost wollte der Choreograf Philippe Saire uns sowieso nicht vorsetzen. Im Gegensatz zu seiner Choreografenkollegin hat er an technischem Aufwand nicht gespart, allenfalls an Garderobe, denn die beiden bärtigen Performer Philippe Chosson und Pep Garrigues entledigen sich als erstes, fast gehetzt und ohne die geringste Scheu, im Gegenteil, ihrer Kleidung und fühlen sich in ihren Unterhosen durchaus wohl. Sie hantieren immer wieder mit allerlei technischem Schnickschnack, mit englischen Texten, besagend, dass sie scharf aufeinander sind, auf des anderen Ohr, Auge, Tits, Ass und was sonst noch von Interesse sein kann. Eigentlich hätten wir diese Nachhilfe nicht gebraucht, aber sie brauchen diese eher derbe, eben männliche Weise offenbar für ihre Zuneigung, die sie doch wohl haben, damit nur ja keine Sentimentalitäten aufkommen. Im Laufe des Stücks führt man(n) uns auch eine leichte Spielart von Sado/Maso vor. Ziemlich angesagt heute hat es kaum noch etwas Schockierendes und wird beim Rollenspiel einseitig verteilt. Und Voyeurismus ist selbstredend auch ein Teil einer solchen Veranstaltung. Alles das wird überzeugend dargeboten und erstaunlicherweise gab es auch keine technischen Pannen, womit man bei Gastspielen, mit beweglichen Technikteilen immer rechnen muss. Man steht ja bei der Einrichtung immer unter Zeitdruck.

Gefreut hat mich der Erfolg dieses nicht jedermanns Geschmack treffenden Abends und es ist sicher auch sehr persönlich, welcher Spielart von Liebe man zuschauen möchte, an den Interpreten war jedenfalls nichts auszusetzen

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern