„Das Subjekt gesteigerter Ratlosigkeit“

Uraufführung von Deufert+Plischke: „Anarchiv #1 – I am not a zombie“

Hamburg, 18/04/2009

Drei Gestalten tappen auf die unbeleuchtete Bühne im K3 auf Kampnagel. Ihre nackte Haut schimmert in der Dunkelheit. Nur schmemenhaft sind Kattrin Deufert, Thomas Plischke und der Tanzdramaturg Jeroen Peeters zu erkennen. Sie nehmen verschiedene Posen ein, lösen sie wieder auf, suchen sich einen neuen Platz und beginnen von vorn. Diese Sequenz geht so lange, dass man unwillkürlich die Augen schließen muss, wenn plötzlich das Licht in der Halle angeknipst wird.

Der Bühnenraum wird sichtbar. Ein kahler Raum an dessen Vorderseite ein Tisch mit Mikrophon steht. Von ihm aus schlängelt sich eine weiße Linie diagonal durch den Raum und endet in einer Art Pap-Prärie. Weiße Kakteen und Grasbüschel sind in einer Ecke angeordnet. Die drei Künstler tragen nun hautenge Ganzkörperanzüge in fröhlichem blau, grün und gelb. Über der ganzen Szenerie hängt ein Netz aus langen Schnüren, an deren Enden die Protagonisten Schilder mit verschiedenen Begriffen festmachen. „Restlessness“ steht darauf oder „Entheimlichung“, „Danger Zone“ oder „Impossibility“. Die Bewegungen der Drei wirken befremdlich. Immer wieder lassen sie sich plötzlich zu Boden fallen, bleiben eine Weile liegen, bevor sie wieder von vorn beginnen. Dazu hört man verschiedenen Wortfetzen aus Lautsprechern. Im Programmheft wird erklärt, dass sich „Anarchiv“ mit der künstlerischen Vergangenheit der Akteure beschäftigt. Mit verblassenden Erinnerungen, unlesbaren Notizen oder gelöschten Videobändern, doch bietet das, was auf der Bühne passiert dem Zuschauer keinen Anhaltspunkt etwas in dieser Art zu erkennen. Die Schwierigkeit einen Zugang zum Stück zu bekommen, gipfelt schließlich in der Lecture des Philosophen Marcus Steinweg. Schon häufiger haben Deufert+Plischke Lectures zum Gegenstand ihrer Performances gemacht.

In ihrer neuen Arbeit wechselt das Thema der Lectures mit jeder Aufführung. So können sich die Zuschauer der kommenden Tage noch mit Fragen nach Realität, Text, Philosophie, Kunst oder Freundschaft konfrontieren und beschäftigen. Marcus Steinweg nimmt hinter dem Tisch auf der Bühne Platz und beginnt zu reden und auf einmal findet sich der Zuschauer in einem wissenschaftlichen Philosophiediskurs zur Frage „Was ist das Subjekt?“ wieder. Nietzsche, Freud, Platin, transzendentale Dekonstruktion... Marcus Steinweg wirbelt die Namen und Fachbegriffe nur so durch die Luft und hat die Zuhörer schon nach wenigen Minuten verloren. Wenn er „das Subjekt gesteigerter Ratlosigkeit“ thematisiert, so trifft er wohl noch am ehesten den Zustand, in dem sich die Mehrheit des Publikums zu diesem Zeitpunkt bereits befindet.

Dass Deufert, Plischke und Peeters anschließend noch einmal zurückkehren, dieses mal mit den passenden Superhelden-Mäntelchen zu den Ganzkörperanzügen und daran befestigten Fellfetzen macht die ganze Geschichte nur noch skurriler. Unter dem Schild „Two Halfes“ – zwei Hälften bewegen sich Deufert und Plischke wie Spiegelbilder zueinander und der Künstlerzwilling ergänzt sich. Die Frage bleibt zu was? Als schließlich ein Schild mit der Aufschrift „End“ befestigt wird und auf der leeren Bühne baumelt, lässt sich jedenfalls nicht mit Sicherheit sagen, ob der Applaus Begeisterung oder Erleichterung ausdrückt.

Weitere Vorstellungen: 17.4., 18.4., 23.4., 24.4. und 25.4. jeweils 20 Uhr www.kampnagel.de

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