Im Staub des getrockneten Blutes
Beeindruckend und verstörend wird das Festival „Tanz im August“ eröffnet
Zur Eröffnung von Tanz im August: Ein Gespräch mit dem Choreografen Seydou Boro
Vor einer blutrot angestrahlten Wand fallen zwei muskulöse Männer übereinander her. Eine Sängerin stößt wimmernde Laute aus, ein Perkussionist erzeugt nervöses Rascheln. In „Poussières de Sang”, dem jüngsten Werk der Choreografen Salia Seynou und Seydou Boro aus Burkina Faso, verbinden sich Musik und Tanz zu einer untrennbaren Einheit.
Am 14. August eröffnet das Stück die diesjährige Ausgabe von Tanz im August, die sich stark mit der dramaturgischen Funktion von Musik beschäftigt. Frank Weigand sprach mit Seydou Boro über musikalische Symbolik, choreografische Entwicklungshilfe und den sich wandelnden Blick auf Kunst aus Afrika.
Redaktion: Ihr Stück zeigt Körper, die in Szenen extremer Gewalt aufeinanderprallen. Gab es einen realen Auslöser für diese Arbeit?
Seydou Boro: Das auslösende Ereignis waren bewaffnete Unruhen in unserer Hauptstadt Ouagadougou. Aber das ist nur eine Anekdote. Unser Ansatz war weitaus universeller. Wir interessierten uns für den Prozess, wie Gewalt von Körpern Besitz ergreift. Gewalt ist nicht von Anfang an da. Sie nimmt nach und nach ihren Platz im Denken ein, bevor sie körperlich werden kann.
Redaktion: Musik spielt eine prägende Rolle in „Poussières de Sang” und überschneidet sich häufig auch mit dem Tanz. So wird darin eine Sängerin von den Tänzern herumgewirbelt, ohne in ihrem Gesang innezuhalten...
Seydou Boro: Wir arbeiten seit Jahren mit denselben Musikern zusammen und erarbeiten Choreografie und Musik ausgehend von gemeinsamen Improvisationen. Die Sängerin symbolisiert eine Möglichkeit des Widerstands: Sie singt immer weiter und lässt sich nicht unterdrücken, während andere Körper alles mit sich geschehen lassen und keine kritische Stimme erheben. Gegen diese Passivität, die man überall auf der Welt findet, wollen wir mit unserem Stück angehen.
Redaktion: Sie arbeiten gleichzeitig in Frankreich und in Ihrer Heimat Burkina Faso. Prägt das Ihr künstlerisches Schaffen?
Seydou Boro: Unsere Company hat ihren Sitz in Frankreich, doch gleichzeitig haben wir vor drei Jahren ein Zentrum für choreografische Entwicklung in Ouagadougou gegründet. „La Termitière” ist ein Raum für Ausbildung, für Residenzaufenthalte und auch eine Spielstätte. Etwas derartiges gab es dort bislang noch nicht. Dadurch können Choreografen heute Stücke in Burkina Faso erarbeiten und sie auch dort zeigen. Wichtig ist, dass dieser Raum sowohl afrikanischen als auch europäischen Künstlern zur Verfügung steht. Die ständige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kontexten bereichert uns, hilft uns dabei, nicht nur geographische Grenzen zu überschreiten.
Redaktion: Man könnte Ihre Arbeit als zeitgenössischen afrikanischen Tanz bezeichnen, der trotzdem stark in der Tradition verwurzelt ist. Reagiert das europäische Publikum, dem viele Symboliken nicht vertraut sind, anders auf ihre Stücke, als das Publikum in Afrika?
Seydou Boro: Vor 17 Jahren waren die Sichtweisen noch extrem unterschiedlich. Doch inzwischen haben wir uns auf beiden Kontinenten ein Publikum aufgebaut. Durch unser Zentrum in Burkina Faso haben wir zur Ausbildung eines sehr offenen Publikums beigetragen, das in der Lage ist, sich kritisch mit Tanz auseinanderzusetzen, egal ob er aus Afrika oder Europa kommt. Natürlich gibt es immer noch Leute, die unsere Stücke anschauen, weil sie sich für afrikanischen Tanz interessieren und die manchmal enttäuscht sind, weil wir ihnen zu zeitgenössisch sind. Als ob der afrikanische Kontinent nur traditionelle Kunst zu bieten hätte. Dabei gibt es mittlerweile eine Fülle unterschiedlicher Arbeiten und Ansätze, und afrikanische Choreografen arbeiten auf der ganzen Welt. So entsteht ein ganz anderer Blick auf Afrika, der weit über die vorgefertigten Klischees hinausgeht.
Redaktion: War es schwierig, die Regierung von Burkina Faso zur Unterstützung für Ihre Arbeit zu gewinnen?
Seydou Boro: Die Regierung von Burkina Faso hat inzwischen begriffen, dass Kultur die einzige Ressource unseres Landes ist. Letztendlich hat uns das Kultusministerium die Räumlichkeiten für unser Zentrum zur Verfügung gestellt und übernimmt auch die Kosten für Wasser und Strom. Aber für diese Unterstützung haben wir 17 Jahre lang gekämpft.
(Erstabdruck dieses Artikels in der Ausgabe 7-8/09 des Magazins TanzRaumBerlin) Festivaleröffnung von „Tanz im August” mit dem Stück „Poussières de Sang” der Compagnie Salia nï Seydou: 14.8. um 20 Uhr im Haus der Berliner Festspiele, zweite Aufführung 15.8. 20 Uhr www.tanzimaugust.de
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