Eins zu Null fürs Ballett

Die wiederaufgenommene „Fille mal gardée“

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Stuttgart, 19/03/2009

Ballett, du hast es besser als die Oper – zumindest was Stuttgart und die Operette angeht! Die letzten hiesigen Operettenproduktionen: eine einzige Folge von Flops! Hans Hollmanns sterbenslangweilige „Fledermaus“ von 1986. Tilman Knabes museums-modrige „Fledermaus“ von 2000 – erinnert sich noch jemand daran? Selbst Herbert Wernickes „Fledermaus“ von 1994 im Schauspielhaus hat sich nur als eine mehr gekrächzte als gesungene Aufführung dem Gedächtnis eingeprägt. Und die diversen Offenbachs? „Der Karottenkönig“, „Orpheus in der Unterwelt“, das in die Streusandbüchse der Mark Brandenburg evakuierte „Pariser Leben“, ein Import wie aus Treuenbrietzen …

Operette – war da nicht mal was in Stuttgart? Oh ja: die vietnamisierte „Blume von Hawai“ von Alfred Kirchner 1976 hoch unterm Dach des damaligen Kammertheaters. Na ja – und nicht zu vergessen: die gloriose „Lustige Witwe“ von 1971, von John Cranko und Jürgen Rose, laut Pipers Enzyklopädie“ „eine lustvolle Augenweide. Mit erlesenem Geschmack und Pfiff, überbordender Phantasie und Witz, verzaubert mit Jugendstil und Pop“. Sündhafte hunderttausend Mark hat die damals gekostet – und lief und lief und lief! Eine Großtat der „Ära Walter Erich Schaefer“! Und heute? Gehen wir in Stuttgart ins Ballett, wenn wir eine gut gemachte Operette sehen wollen!

„La Fille mal gardée“ heißt das Stück, steht hierzulande seit neun Jahren auf dem Spielplan, immer wieder frisch gewaschen und gestärkt, wonneproppig, inzwischen von mehreren Generationen von Tänzerinnen und Tänzern vereinnahmt und so verinnerlicht, als hätten sie genau dazu ihren Beruf ergriffen, um einmal diese Lise, diesen Colas, diese Witwe Simone und diesen Alain tanzen zu können. Und so explodieren sie denn förmlich mit jedem Auftritt auf der Bühne und schießen ihre virtuosen Feuerwerkscracker ins Publikum: Angelina Zuccarini als Lise, mit dem augen- und füßchenzwinkernden Charme als sei sie die Tochter Berlusconis, und Alexander Jones als ihr fescher Kavalier Colas, der dreht und dreht und dreht, als hätte er zum Lunch eine doppelte Portion Drehwürmer verspeist – nicht zu vergessen Roland Havlica als Witwe Simone mit den Haaren auf der Brust und den Clogs, Größe kleiner Kindersarg, an den Beinen und Alexander Zaitsev als der herzensgute Alain aus der Bruderschaft der Mussorgskyschen Gottesnarren.

Freude, schöner Tänzerfunken: die Stuttgarter Tänzer tanzen das, als hätte Beethoven die Worte eigens für sie umtextiert und ihnen im musikalischen Parodieverfahren statt seiner eigenen Melodien die sohlenkitzelnden Stimulanzien Rossinis und Donizettis unterlegt. Und verlängern so die schwäbische Fastnacht um ein paar Tage. Sollten Sie überlegen, sich ein paar glückerfüllte Stunden zu gönnen. kann man Ihnen nur raten: Gehn' Sie ins Stuttgarter Ballett!

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