Ja, wir können auch das!

Die letzten „Variationen“ beim Stuttgarter Ballett

oe
Stuttgart, 28/01/2009

Es ist gerade so, als hätte das Stuttgarter Ballett die finalen Aufführungen seines „Variationen“-Programms exakt für die Woche des Amtsantritts des neuen amerikanischen Präsidenten geplant. Und so tanzte es denn die letzte Vorstellung dieses Programms am Mittwochabend mit einem ostentativen Ausrufezeichen: Yes, We Can! Gleich, ob es sich um George Balanchine, den Gesetzgeber des zeitgenössischen Balletts, den willkommenen Gast aus Finnland/Boston, Jorma Elo, oder den Hausheiligen John Cranko handelte. Als gälte es zu beweisen: ja wir können alles, außer Nicht-Professionell!

Und so offerierte es denn zu Beginn die Visitenkarte seines Professionalismus: Balanchines „Theme and Variations“ zu Tschaikowskys Orchestersuite Nr. 3 in C-Dur, von den Staatsorchestralen unter Wolfgang Heinz animiert, mit dem auf Hochglanz polierten Finish ihres Markenzeichens als A und O ihres Berufsverständnisses, die Grammatik eines zeitgenössischen Ballett-Klassizismus, die beiden lupenreinen Pas-de-deux-Stilisten Katja Wünsche und Filip Barankiewicz, samt ihren 25 Kollegen gemäß dem „Balanchine Style“ und der „Balanchine Technique“ als tänzerische Silberstift-Zeichnung auf lichtblauem St. Petersburger Grund. Um sich danach zu öffnen für deren heutigen globalen transkontinentalen Jargon des skandinavisch-amerikanischen Jorma Elo mit seinen windmühlenflügeligen Energieschüben in „Slice to Sharp“, der gar nicht so viel anders aussieht als der hierzulande praktizierte Modernismus eines Christian Spuck – jedenfalls so wie er von den vier Paaren der Stuttgarter Exzellenzen-Equipe um Alicia Amatriain und Jason Reilly exekutiert wird – gemäß den zarten umweltfreundlichen akustischen Emissionen der Partita von Heinrich Ignaz Franz von Biber, wie sie von Wolf-Dieter Streicher und Luminitza Petre als den beiden Solo-Violinisten in den Raum projiziert werden.

Doch dann geh‘s mit Stuttgarter Porsche-Power ins Crankosche „Poème de l‘extase“ – und aufheult das Skrjabinsche Klangfarbenspektrum mit seinen Fin-de-siècle-Reminiszenzen um die Belle de nuit der Sue Jin Kang, herausgefordert durch die stürmischen Avancen des Marijn Rademaker. Zu der von Cranko/Rose beschworenen Wiener Sezessions-Lethargie beigemischt ein aparter exotisch-fernöstlicher Soupçon, verstärkt noch durch das Erscheinen der vier apokalyptischen Kavaliere der Donaumonarchie, so dass der Zuschauer in einen wahren Sinnentaumel gerät, der ihn zum Schluss noch einmal einen Blick ins Programmheft werfen lässt, ob er nicht gerade einem Ballett beigewohnt hat, das den Untertitel „nach dem Roman von Robert Musil ‚Die Frau mit den zu vielen Eigenschaften‘“ trägt.

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