Resonanzkörper
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Sie entwickeln sich zur deutschen Antwort auf den Brasilianer Bruno Beltrao, dessen kleine Truppe den HipHop von reiner Zirzensik befreit, artistisch subtil und mit philosophischem Tiefgang menschliches Befinden erforscht. Die Gruppe E-Motion, formiert aus führenden Hip-Hoppern der Bundesrepublik, hat sich ähnliche Ziele gesetzt und gleich mit ihrer ersten Produktion, dem weltweit tourenden „2nd ID“, Maßstäbe gesetzt.
Beim zweiten Projekt standen Takao Baba, Andrea Böge, Lil’Rock, Albi Gika und Victoria Söntgen, alternierend mit Katja Cheraneva, unterm Erfolgsdruck des Debütstücks. Ihr Hip-Hop-Tanztheater „Super Me“, gezeigt wiederum im Hebbel am Ufer, führt den Weg auf anderem Terrain und mit weiter gestecktem Anspruch fort. Stellt „2nd ID“ künstlerisch bestechend die Gruppenmitglieder und ihre Sicht auf HipHop als getanzte Lebenseinstellung vor, löst sich „Super Me“ fast gänzlich von jener persönlichen Ebene, bietet Zeitkommentar mit den stilistisch erweiterten Möglichkeiten des Hip-Hop. In Nadia Espiritu und Amigo, der mit seinem Duett „ZEY’BrEaK“ gerade selbst eine anregende Reise in innere Welten vorgelegt hat, standen dafür zwei profunde künstlerische Mitarbeiter zur Verfügung.
Naturlaute flirren über die Szene, das Brummen von Insekten, das Rascheln von Steinen, das Glucksen von Wasser. Als Exotikum liegt auf fahrbarem Podest ein Rasenquadrat. Natürlich geben sich die Menschen indes nicht. Jeder bleibt mit sich allein, reagiert mit seinem individuellen Bewegungsstil, winklig oder flüssig, musikalisch prägnant auf die Akzente und Klangfarben einer elektronischen Collage. Der Rasenfleck ist das Zentrum aller Bemühungen, das unerreichbare Hin-zur-Natur. Links an der Rückwand lehnen quadratische Rahmen, deren Fläche vorerst zur Projektion provokanter Thesen dient. In heranzoomenden, dann brechenden Buchstaben liest man von Schwarmintelligenz, als den Tänzern Bienen durch den Körper zu flattern scheinen, von Metamorphose, vom Lockwirkstoff Pheromon. Nur im oder vor einem Rahmen scheinen die Menschen sie selbst zu sein, nehmen sie offizielle Pose ein. Immer wieder stülpt man über Albi Gika einen Rahmen, in dem er liegend geht, mit dem er gehoben wird. Grenzen zwischen den gerahmten Lebensräumen werden selten überschritten, kaum gibt es körperliche Kontakte. Vielmehr gehe es darum, sich mittels Geräten zu unterhalten und Informationen auszutauschen, liest man in der Projektion.
Nach zurückhaltendem Beginn gerät das Plädoyer gegen eine Digitalisierung unserer Gefühle zunehmend klarer. Als Gika unter einem Geflecht von Rahmen begraben wird, sich zu befreien vermag, irritiert nach dem eigenen Körper sucht, bis zum Ende Außenseiter bleibt, hat „Super Me“ seine berührendste Episode, in Gikas brillantem Solo auch den stärksten Moment. Während das Quartett „seinen“ Rasen an anderem Ort platziert und dort in Schwebelage verharrt, liegt Gika allein unter einem Lichtraster auf dem rasenfreien Podest. Wieder decken Mosquitogesumm und Wasserplätschern die Menschen zu. So vielfältig sich Takao Babas Collage mit Gesang, Raptext, Streicherton anreichert, so variant bringen die exquisiten Tänzer ihr vielseitiges Können ein. Nach einer reichlichen Stunde verlässt man nachdenklich den Saal. Und froh, hat doch der Hip-Hop dem Tanztheater erfolgreich eine neue, seine Farbe beigemischt.
Nochmals 9.4., 20 Uhr im HAU 2, Hallesches Ufer 32, Berlin Kreuzberg,
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