Komplexe Gefühlssituationen

John Neumeiers „Kameliendame“ beim Bayerischen Staatsballett

München, 02/11/2009

Einunddreißig Jahre alt ist John Neumeiers „Kameliendame“ zu Chopin-Musiken, aber immer noch eines der gelungensten, sehenswertesten Handlungsballette des 20. Jahrhunderts. Wenn auch, für unser heutiges schnelles Zeitempfinden, eine Spur zu langatmig (mit zwei Pausen). Dennoch: Die tragische Liebe zwischen der lungenkranken Kurtisane Marguerite Gautier und dem jungen Armand Duval kann auch 2009 zum Schluchzen schön sein, wenn die Besetzung stimmt. Hochgespannt war man jetzt auf Star-Ballerina Lucia Lacarra und ihren Partner Marlon Dino – gefeiertes Traumpaar in John Crankos „Onegin“. Das Publikum im ausverkauften Münchner Nationaltheater fand sich, hörbar, nicht enttäuscht von diesem Staatsballett-Abend mit den Pianisten Wolfgang Manz und Simon Murray und Myron Romanul am Pult.

Es steht ja auch außer Frage, dass, abgesehen von manchen technischen Unsauberkeiten der Gruppe (in der zugegeben kniffligen Landpartie), die Vorstellung eine hohe Qualität hatte. Lacarra tanzte wie eine Göttin, obgleich gerade erst zurück von einer dreivierteljährigen Verletzungspause. Und Marlon Dino meisterte souverän sein Armand-Debüt, in den schrittvertrackten Solo-Variationen wie bei den Pas-de-deux-Hebungen. Aber der gedanklich hypersubtile Neumeier lässt sich nicht vom Blatt spielen/tanzen. In jeder Geste der Zuneigung und des Glücks, der Verletztheit, der Rache, der Reue muss die komplexe Gefühlssituation dieser an bürgerlicher Konvention und Krankheit scheiternden Liebe mitschwingen. Im letzten Liebes-Pas-de-deux fühlt man die beiden Solisten dort „angekommen“. Jetzt müssten sie die Chance haben, das Ballett noch ein paar Mal zu tanzen.

Weitere Vorstellungen, auch in anderer Besetzung: 5., 20., 24. 11., 3. 12., jeweils 19:30 Uhr.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern