Osiel Gouneo

Osiel Gouneo

Plädoyer gegen Rassismus im Tanz

Neu erschienen: die Biografie des kubanischen Tänzers Osiel Gouneo

Ein Buch über den schwierigen Weg eines schwarzen Tänzers in der weißen Welt des Balletts in Europa. Und ein Aufruf für mehr Vielfalt in den großen Kompanien der Welt.

München, 26/06/2024

Der Titel „Black Romeo“ kommt nicht von ungefähr. Es war wohl das spektakulärste Romeo-Debut, das die Pariser Oper je gesehen hat: Ein Kubaner mit afrikanischen Wurzeln verkörpert 2023 die Paraderolle eines jeden Ballerinos in Nurejews Version des zeitlosen Klassikers. Die zweite Besetzung: ebenfalls ein dunkelhäutiger Tänzer: Guillaume Diop, ein heute 24-jähriger Franzose mit senegalesischen Wurzeln, 2018 an die Pariser Oper engagiert und innerhalb weniger als fünf Jahren zum „Étoile“ avanciert, als erster Schwarzer in der Geschichte des Hauses. Zwei symbolträchtige Debuts, denn schwarze Tänzerinnen und Tänzer erobern sich inzwischen mehr und mehr die Bühnen Europas. 

Spiegel der Vielfältigkeit

Osiel Gouneo hat das jetzt anhand seiner eigenen Biographie gewissermaßen stellvertretend für seine Kolleg*innen in einem Buch kondensiert. Er schildert, wie er zu dem wurde, was er heute ist: ein Ballettstar der Sonderklasse. Er erzählt auch – und das macht das Besondere dieses Buches aus –, wie er sich durchsetzen musste in der Welt des europäischen Balletts, das bis heute vorwiegend von Weißen geprägt ist und auch eine weiße Tradition hat. Im Zeitalter der Globalisierung jedoch hat das keinen Bestand mehr. Und Osiel Gouneo, so viel sei hier schon vorweggenommen, mahnt zu Recht an, dass sich die Diversität der Herkunft auch in den großen Kompanien innerhalb der Welt des klassischen Balletts spiegeln muss. Ein schwarzer Romeo? Warum nicht! Ein schwarzer Onegin? Na und! Ein schwarzer Des Grieux? Na klar! Schließlich kommt es nicht auf die Hautfarbe an, sondern darauf, ob und wie ein Tänzer in der Lage ist, die Rolle künstlerisch und technisch auszufüllen. Der Tanz muss heute viel mehr die Vielfältigkeit spiegeln, die gesellschaftlich schon seit Jahren Realität ist. Den Weg dafür hat ein anderer kubanischer Tänzer von Weltrang bereitet: Carlos Acosta, 1973 geboren, Gewinner der Goldmedaille des Prix de Lausanne 1990, später ein gefeierter Star auf allen großen Bühnen und seit 2020 Chef des Birmingham Royal Ballet und seines eigenen Ensembles in Havanna. Für Osiel Gouneo, 17 Jahre jünger, wird Acosta zum Vorbild. Heute ist er sein würdiger Nachfolger – blickt er doch auf eine ganz ähnliche Laufbahn zurück. 

Erstmal Kung-Fu, Karate und Baseball statt Ballett

1990 geboren und aufgewachsen in Matanzas, einer Stadt mit ca. 150.000 Einwohnern, gut 100 km östlich von Havanna an der Nordküste Kubas gelegen, hatte Osiel erstmal alles andere im Kopf, als Tänzer werden zu wollen. Liebend gerne zeichnet er im Innenhof des Hauses seiner Großeltern, wo ein großer Mangobaum steht. Er interessiert sich für Judo, Kung-Fu, Karate und – wie alle Kubaner – Baseball. Den Tanz kennt er vor allem von der Rumba, die in Matanzas bei jeder Gelegenheit zelebriert wird. In Kuba tanzt man sowieso bei jeder Gelegenheit, nur eben nicht Ballett. Den Rhythmus von Rumba und Salsa aber hat jedes Kind schon im Blut. In kaum einem anderen mittelamerikanischen Land wird der Tanz so gefördert und geachtet wie auf Kuba mit seinem berühmten Kubanischen Nationalballett, das lange unter der Leitung der legendären Alicia Alonso (1920-2019) stand. 

Es ist die musisch interessierte Mutter von Osiel Gouneo, die das Talent ihres Sohnes erkennt und ihn kurzerhand an der Musikschule „Alfonso Pérez Isaac“ anmeldet, wo auch Ballett unterrichtet wird. Eher lustlos absolviert Osiel die Schule und das Tanztraining: „Tief in mir empfand ich Ballett als albern und dumm“, schreibt er. Sein Idol war das des sportbegeisterten Vaters: Jean-Claude van Damme, der hünenhafte belgische Filmschauspieler und Kampfkünstler. 

Ein heilsamer Kulturschock 

Erst als Osiel in der Klasse ein Video mit Carlos Acosta in „Diana und Actaeon“ sieht, wendet sich das Blatt: „Ich dachte: Warte mal, was war das? Wer war das? Seit wann gibt es schwarze Balletttänzer? Wurden die nicht alle Baseballprofis?“ Das Video versetzt ihm einen heilsamen Kulturschock: „Carlos hob die Ballerina, die die Göttin Diana tanzte, mit einer Leichtigkeit in die Höhe, als wäre er ein Jean-Claude van Damme in Ballettschuhen. […] Alles an ihm war männlich, wie man männlicher gar nicht sein konnte. […] Carlos Acosta trat in mein Leben wie ein Alien von einem anderen Stern. Er eröffnete mir eine völlig neue Bewusstseinsebene. […] Ich schaute vom Bildschirm hoch, sah die anderen Schüler in meinem Kurs an und sagte dann so laut, dass mich jeder klar und deutlich verstehen konnte: ‚Das will ich auch machen!‘ Und: ‚Das will ich auch können!‘ […] Die magischen Bilder, die der Rekorder ausspuckte, verwandelten die Abneigung in Appetit, in ein Hungergefühl. Ich wollte mehr davon. […] Mit einmal galt für mich: Ballett – supercool.“ 

Carlos Acosta wird sein neues Idol. Und fortan wird er süchtig nach Ballett-Videos der großen Stars, unermüdlich trainiert er im Studio, aus dem Boykotteur wird ein Streber.

Internationale Karriere

Bei einem Talentwettbewerb im April 2004, wo für die Erfolgreichen ein Stipendium für die staatliche Ballettakademie in Havanna winkt, fällt er zum ersten Mal auf. „Du hast was, Osiel, etwas Besonderes“, sagt Yoel Carreno zu ihm, damals Principal Dancer des Kubanischen Nationalballetts. Er habe enormes Potential, aber auch noch viele technische Schwächen. Sie geben letztendlich den Ausschlag, dass Osiel bei diesem Wettbewerb trotz seiner unverkennbaren Begabung leer ausgeht. Yoel jedoch macht ihm Hoffnung: Wenn er hart arbeite, könnte er in einem Jahr die Aufnahmeprüfung in Havanna bestehen. 

Und so kommt es. 2005 wird Osiel in die Akademie in Havanna aufgenommen, 2008 erhält er ein Engagement im Nationalballett, drei Jahre später avanciert er dort zum Ersten Solisten. Berühmt ist er für seine rasanten Drehungen, die hohen, raumgreifenden Sprünge und für seine Bühnenpräsenz. 

Auf Tourneen wird ihm jedoch deutlich, wie rückständig vieles in Kuba immer noch ist, und er spielt mit dem Gedanken, nach Europa zu gehen, um seine Familie finanziell besser unterstützen zu können, und auch, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln. 2013 ist es soweit: Er wechselt als Erster Solist nach Oslo zum Norwegischen Nationalballett. 

Rassismus und Ignoranz 

In Oslo macht ihm nicht nur das Wetter zu schaffen, sondern auch eine Verletzung, die er sich beim „Blauen Vogel“-Solo in „Dornröschen“ zugezogen und monatelang ignoriert hatte, noch dazu am selben Bein, das ihm schon in Kuba Probleme gemacht hatte. Wegen der Fraktur am rechten Schienbein muss er monatelang pausieren. Und er hat Probleme innerhalb der Kompanie – nicht mit den Kollegen und auch nicht mit der Leitung, aber mit den Verantwortlichen für die Einstudierung von Crankos „Onegin“. Da soll er die Hauptrolle tanzen, erarbeitet sich den schwierigen Part auch sehr sorgfältig, wird bei den Proben jedoch mitsamt seiner Partnerin von den Cranko-Erben aus Stuttgart geflissentlich übergangen. Die Premiere tanzen andere, Weißhäutige. Eine Begründung erfährt er nicht. 

Ein Jahr später erlebt er das Gleiche nochmal bei Kenneth MacMillans „Manon“, als er für die Rolle des Des Grieux und ebenfalls als Lescaut (Manons Bruder) besetzt ist, beides schwierige, anspruchsvolle Rollen. Kurz vor der Premiere legt Lady MacMillan, die Witwe und Rechteverwalterin des Choreografen, ihr Veto ein, dass ein schwarzer Tänzer diese Rollen übernimmt. Es ist der Direktion in Oslo nachgerade peinlich, Osiel das mitteilen zu müssen. Aber was soll sie machen? Das Stück müsste sonst vom Spielplan wieder gestrichen werden. 

Es sind diese beiden prägenden Erlebnisse, die Osiel veranlassen, Oslo zu verlassen und den Ruf nach München anzunehmen, wo Igor Zelensky 2016 die Nachfolge von Ivan Liška antritt. Seither tanzt er dort als Erster Solist und tritt immer wieder dafür ein, das Ballett von diversem Staub zu befreien: „Don’t cancel culture!“ lautet sein Credo. 

Erfolg und Anerkennung 

In München kann sich Osiel Gouneo endlich weiterentwickeln. Er wird gefördert und gefordert, nach Zelenskys Weggang 2022 auch von dessen Nachfolger Laurent Hilaire. Immer wieder gastiert er mit großem Erfolg auf den großen Bühnen der Welt. Für seine Rolle als Spartacus in der gleichnamigen Münchner Produktion wird er als „Tänzer des Jahres“ geehrt. Dass er als erster Schwarzer in Paris den Romeo tanzen darf, ist ein weiterer Meilenstein in seiner Karriere, ebenso ein Gastspiel in Oslo als Onegin, mit dem die alten Wunden heilen können. 

Das Hinterfragen einer Partie ist inzwischen für Osiel Gouneo das Entscheidende: „Das Rollenspiel beim Ballett funktioniert für mich nach dem Prinzip einer Walnuss, die ich gerne knacken und dann essen möchte: Ich muss den Panzer an der Oberfläche sprengen, will ich das Innenleben der Rolle offenlegen. Das ist es, was ich unter einer wahrhaftigen Verkörperung verstehe. […] Ich will ein Tänzer sein, der nicht nur schöne, schwierige Schrittkombinationen, Drehungen oder Sprünge beherrscht, sondern einer, der mit seiner Kunst Charaktere offenlegt.“ Es ist gut, dass Osiel Gouneo seine Lebensgeschichte und seine Haltung zum Tanz so ausführlich und mit großer Ehrlichkeit erzählt. Schärft das doch durchaus das Bewusstsein, dass sich die Vielfältigkeit der Gesellschaft auch auf der Bühne spiegeln soll und kann, und dass es letztendlich egal ist, welche Hautfarbe jemand hat. Ein Mensch ist ein Mensch. Und auch ein Tänzer ist ein Mensch. 

Es ist weniger gut, dass dieses Buch von einem Autor geschrieben wurde, der von Ballett ganz offenkundig keine Ahnung hat. Thilo Komma-Pöllath steht – so heißt es auf seiner Homepage – für einen „anwaltschaftlichen Journalismus“, er schreibt für „Menschen, denen Unrecht widerfahren ist“. Diesen Aktivismus liest man aus fast jeder Zeile, und nicht zuletzt enthält das Buch auch viele sachliche Fehler, für die Osiel Gouneo nichts kann, die sich aber mit mehr Sachverstand hätten vermeiden lassen. Es wäre sehr viel lohnender gewesen, seine Erfahrungen in den Kontext der Entwicklung des Balletts in den vergangenen 50 Jahren einzubetten. Dazu war Komma-Pöllath nicht in der Lage. Und so gerät der Text an nicht wenigen Stellen dann eben doch zu einer einseitig geprägten Anklage. Schade. 

Osiel Gouneo und Thilo Komma-Pöllath: Black Romeo. Mein Weg in die weiße Welt des Balletts. 

C.H. Beck Verlag, München

251 Seiten 

28 Euro

 

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