Spaßballett und Ernstballett

„Four Play“ von Gauthier Dance im Theaterhaus

Stuttgart, 12/03/2009

Da muss man sich ja verzählen: „Four Play“ ist die dritte Premiere von Gauthier Dance und enthält fünf Stücke für sechs Tänzer plus Direktor. Ausverkauft war die erste Serie dieses seltsam disparaten Abends mit der Leitzahl Vier schon lange vor der Premiere, ob er ein ebenso großer Publikumsknüller wird wie die beiden Vorgänger, das bleibt abzuwarten. Die kleine, noch junge Tanzkompanie des Stuttgarter Theaterhauses bewegt sich in zwei extreme Richtungen: Das Programm wird, entgegen aller „Ich will Spaß“-Beteuerungen von Direktor Eric Gauthier, auf der einen Seite anspruchsvoller, ja avantgardistischer, Gauthier selbst aber verharrt als Choreograf hartnäckig bei seinen Goldfisch- und Roboterballetten. Wieder ist es dem kanadischen Tanzchef gelungen, kleine Werke großer Choreografen nach Stuttgart zu holen. So hat Gauthier nun die berühmten Namen William Forsythe und Jiří Kylián im Programm, die beide beim Stuttgarter Ballett seit allzu langer Zeit nicht mehr getanzt werden, und zwar mit strengen, zum Teil rätselhaften Werken, die vor allem den choreografischen Rang ihrer Schöpfer beweisen und nicht eine Minute den Verdacht des Spaßballetts aufkommen lassen.

In seinem langen „Duo“ für zwei Frauen, entstanden 1996 in Frankfurt als zweiter Teil von „Six Counter Points“ und hier von Anja Behrend und Lisa May in strenger, schöner Klarheit interpretiert, verharrt Forsythe erstaunlich hartnäckig im klassischen Duktus, lässt die Beine strecken und die Arme runden. Sogar die Musik seines Lieblingskomponisten Thom Willems klingt verhaltener, leise hallen die Echos ferner Streicher in den elektronisch generierten Klangminimalismus. Genau wie Balanchine reduziert Forsythe hier alles auf die reine Bewegung, aber die Grundlage der Danse d’école ist bereits ins Wanken gekommen, das feste Vertrauen der Neoklassiker in das traditionelle, kodifizierte System ist verschwunden. Mit seinem unstillbaren Entdeckertrieb arbeitet Forsythe an den Rändern des Systems, bricht und überdenkt die bekannten Bewegungen, betrachtet sie in diesem strengen Pas de deux sozusagen durch die Augen des zweifelnden Intellektuellen.

In Jiří Kyliáns Solo „Double You“ tanzt Gauthier selbst und zeigt sich einmal nicht als den tanzenden Clown, sondern als sensiblen, nuancierten Interpreten (wobei die Uraufführung durch Gary Chryst beim NDT III allein durch den Altersunterschied sicher eine noch tiefere Dimension besaß). Vor zwei erhaben schwingenden goldenen Pendeln sucht ein einsamer Tänzer nach Antworten auf seine Zweifel - und tröstet sich gleichsam selbst durch Kyliáns immer wieder faszinierende Gabe, den Sinn einer Bewegung allein aus der Musik entstehen lassen zu können, hier aus der Allemande einer Bach-Partita. Erst dann schließt der Solist mit großer Geste den Vorhang über sich selbst.

Weit weniger originell gerieten die zwei Uraufführungen des Abends. Zu Songs von Amy Winehouse lebt das Trio „What it is“ von Philip Taylor, dem ehemaligen Ballettchef des Münchner Gärtnerplatztheaters, vor allem vom lasziven Jazzgefühl des Tänzers Armando Braswell, der neben Anja Behrend und William Moragas hier immer wieder von Lichtspots eingefangen wird. Flott für die Disco angezogen, deklinieren zwei Jungs und ein Mädchen die üblichen, schon so oft gesehenen Beziehungsspielchen durch. Als Belohnung für alle, die im ersten Teil so wenig zu Lachen bekamen (und mit dieser Erwartungshaltung kommt hier einfach ein großer Teil der Zuschauer) gibt es nach der Pause „Seasons“, die vier Jahreszeiten à la Eric Gauthier. Trotz radikaler Streichung des pollenstreuenden Frühlings geriet das anekdotisch-autobiografisch gefärbte Ballett mit 45 Minuten deutlich zu lang, und auch zwischendurch verlor der choreografierende Tausendsassa mit langen, praktisch tanzlosen Passagen das Timing aus den Augen. Zu einer Musikcollage von „Summertime“ bis Vivaldi zeigt Gauthier seine sechs Tänzer beim Sonnenbaden, beim lustigen Skaten auf Heelys, beim Gitarrespielen oder bei der Liebe, nett arrangiert und schrecklich belanglos. Sogar einen schlimmen Eissturm, den er in Kanada erlebt hat und den man in Projektionen auf der Rückwand sieht, fasst der Choreograf in harmlose kleine Solos – was hier nun aber spanische getönte Musik zu suchen hat, versteht man ebensowenig wie den Einsatz von Jacques Brels Hommage ans belgische „Plat Pays“ unter einem Bild mit Bergen. Mit solchen Nichtigkeiten droht Gauthier zum André Rieu des Balletts zu werden. Dabei kann er es doch viel besser, wie er in den kurzen, seit Dezember nochmals überarbeiteten „Björk Duets“ beweist. Die prägnanten Miniaturen setzen drei Songs der isländischen Pop-Sirene Björk in kleine, feine Vignetten um, choreografisch einfallsreich und dicht, voll Charme und ironischer Zitate. So macht Ballett wirklich Spaß!

www.theaterhaus.com

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