Großflächiges Sterben von Tanzschulen?
Jahressteuergesetz 2024 schafft die Umsatzsteuerbefreiung für private Tanz- und Musikschulen ab
Das erste Mal bin ich Alexander Ursuliak 1991 begegnet. Es gab in Ulm ein Treffen der Deutschen Tanzausbildungsinstitute. Er leitete damals die John-Cranko-Schule in Stuttgart. Sein Unterricht hatte mich damals schon beeindruckt und die Vorstellung seiner Schüler ist die Einzige, die mir noch in Erinnerung geblieben ist - sie tanzten „Love Song“ von Billy Forsythe.
Als ich hörte, was er heute in München macht, musste ich nach München, um mehr darüber zu erfahren und ihn zu treffen. Er gibt seit anderthalb Jahren an der Universität einen viersemestrigen Pädagogikkurs für Tänzer und Tänzerinnen des Staatsballetts und des Gärtnerplatztheaters. Siebzehn Tänzerinnen und Tänzer, die noch voll im Beruf stehen, treffen sich jeden Morgen um 8 Uhr, egal ob am Abend davor Vorstellung war oder nicht. Sie bleiben bis 9.30 Uhr, denn um 10 Uhr fängt in ihren Kompanien das Training an! Alles findet im Platzl 7 statt, wo das Staatsballett seine wunderbaren Räume hat, und übrigens: es gibt in diesem Tanzhaus einen Hort für die Kinder der Tänzer! Ich habe zwei Vormittage zuschauen dürfen und Alexander Ursuliak erzählte mir, wie er beim ersten Treffen die Tänzer fragte, was ihnen an ihrem Beruf missfällt. Ihre Antwort: „Discrimination“. Wir wollen daran arbeiten, es in Zukunft besser zu machen, war seine Antwort.
Seine Schüler sind jetzt an der Vorbereitung des Endexamens, im Juni ist der Kurs zu Ende und sie schließen mit einem Master in Pädagogik ab. Ich habe sie gefragt, ob der Kurs ihren Tanz verändert hat. Ja! Sie sind sich alle einig, sie tanzen bewusster und verstehen, was ihr Körper alles leistet! Sie sind in zwei Gruppen aufgeteilt und sollen in Teamarbeit ihren Abschlussunterricht mit der Pianistin vorbereiten. Es geht oft sehr lebhaft zu, die Auseinandersetzung geht meistens über die Tempi. Herrn Ursuliak ist es wichtig, dass sie diese Arbeit zusammen machen, um Teamarbeit zu erfahren. In den nächsten Wochen werden sie mit ihm ihre Unterrichtsstunden analysieren.
Ich habe mich noch lange mit Alexander Ursuliak unterhalten, er hat mir schöne Geschichten erzählt, und einen Satz bleibt: „Es gibt ein Leben vor, während und nach dem Tanzen, man darf nicht den Menschen vergessen!“ Ich habe einen wunderbaren Menschen kennen gelernt und habe ihm meine sechs Fragen gestellt.
Wie und wann sind Sie zum Unterrichten gekommen?
Alexander Ursuliak: Das war 1962, frisch aus der Ukraine kommend habe ich beim National Ballett of Canada getanzt. Die Direktorin der Ballettschule in Toronto, Betty Oliphant, hatte gehört, dass ich in der Ukraine eine Pädagogikausbildung gemacht hatte und fragte mich, ob ich bei den Jungen Klassisch, sowie Pas de deux und Charaktertanz unterrichten möchte. So hat alles begonnen.
Welche Meister haben Sie nicht vergessen? Und warum?
Fred Seychuk, er war mein erster Lehrer in der Folklore-Tanzgruppe in Kanada. Als ich zehn Jahre alt war, hat er mich zum Ballett geschickt und ich bin ihm sehr dankbar dafür, so konnte ich aus meinem Hobby einen Beruf machen.
Robert Klavin, der mir in Kiew das A und O des klassischen Balletts beigebracht hat.
Natalia Verekundova, selbst Schülerin von Waganowa, die mir die Feinheiten der weiblichen Technik und Port de bras beibrachte. Ohne sie hätte ich nie mit Marcia Haydée und Birgit Keil arbeiten können.
Ich bin Wazlav Orlikowsky sehr dankbar, dass er mich nach Wien berufen hat, als Leiter der Schule und Ballettmeister der Staatsoper musste ich schnell erwachsen werden! Der Orthopäde Josef Huwyler hat mir viele Jahre lang die Anatomie für Tänzer beigebracht und war in Stuttgart der Vertrauensarzt an der Cranko-Schule.
Sind Sie der Meinung, dass man das Lehren lernen kann? Wenn ja, wie sollte Ihrer Meinung nach so eine Ausbildung aussehen?
Man kann das Handwerk des Lehrers erlernen. Das Talent in der Kommunikation mit den Schülern, das dazu führt, diesen magischen Moment herbeizuführen, in dem der Schüler etwas begriffen hat, das hat man oder eben nicht. Man muss bereit sein die Schüler zu begleiten, das erfordert viel Selbstlosigkeit. Ein Kurs in Ballettpädagogik sollte Methodologie, Anatomie, Musik, Psychologie, Ballett- und Tanzgeschichte beinhalten, das ist das Minimum.
Muss für Sie ein Lehrer professionell getanzt haben?
Ja, man braucht einige Jahre als professioneller Tänzer, um die Bühnenerfahrung übermitteln zu können.
Was ist für Sie das Wichtigste für erfolgreichen Unterricht?
Die Muskeln bewusst erziehen, mit Körper und Seele arbeiten. In der Kommunikation das Vertrauen der Schüler zu gewinnen. Die Schüler müssen fühlen und wissen, dass sie begleitet werden. Der Lehrer kann nur vermitteln, wenn der Auszubildende sich ihm öffnet. Alles ist schon da, er muss es nur mit dem Schüler entdecken.
Welche Korrekturen sollen Ihre Schüler nicht vergessen?
Respekt für sich selbst und ihren Körper. Die Regeln des klassischen Tanzes nicht vergessen, und: Liebe dich selbst!
Eine kurze Biografie
Alexander Ursuliak wurde 1937 im kanadischen Edmonton geboren, seine Vorfahren stammen aus der Ukraine. Er studierte bei Fred Seychuk in Kanada und absolvierte am Pädagogischen Institut für Theaterwissenschaften und am Opernhaus in Kiew eine Ausbildung zum Ballettmeister und Ballettpädagogen. Er tanzte beim National Ballet of Canada als Demi-Charactère-Tänzer und arbeitete bereits gleichzeitig als Lehrer an der Ballettschule. Ab 1964 war er u.a. Ballettmeister beim London Festival Ballet, wo er Petipas Klassiker einrichtete und eigene Pas de deux choreografierte. 1966 wurde er von Wazlav Orlikowsky an die Wiener Staatsoper berufen, wo er bis 1973 Assistent des Ballettdirektors war und die Opernballettschule leitete. Von 1973 bis 1993 war er Ballettmeister beim Stuttgarter Ballett, wohin er noch von John Cranko verpflichtet wurde. In Stuttgart trat er als Charaktersolist auf und sang im Musical „On your Toes”. Von 1990 bis 1997 war Ursuliak Direktor der John-Cranko-Schule, in dieser Zeit förderte er die jungen Choreografen Daniela Kurz, Marco Santi, Christian Spuck und Renato Zanella durch Auftragswerke. Danach unterrichtete er an der Ballettschule St. Pölten und leitete von 2000 bis 2003 die Schweizerische Ballettberufsschule in Zürich, die unter seiner Leitung in die Hochschule für Musik und Theater aufgenommen wurde. Seit 2008 bildet er Tanzpädagogen an der Hochschule für Musik und Theater in München aus. Als Gastdozent war und ist Ursuliak international sehr gefragt, er unterrichtete bei vielen großen Kompanien und an zahlreichen Ballettakademien, so zum Beispiel lange Jahre an der Académie Princesse Grace von Marika Besobrasova in Monte Carlo. Er war außerdem Juror bei großen Tänzerwettbewerben wie dem Prix de Lausanne, in Moskau, Kiew, Shanghai und Paris.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments