Konfetti zur Unzeit

Das Cedar Lake Contemporary Ballet gastierte im Festspielhaus

Baden-Baden, 19/04/2010

Noch keine zehn Jahre alt ist diese moderne amerikanische Ballettkompanie, die anfangs vor allem dafür belächelt wurde, dass sie von der reichen Erbin der Supermarktkette Wal-Mart gesponsert wird. Inzwischen aber hat sich die 15-köpfige Truppe in der harten New Yorker Tanzszene durch ihr unkonventionelles Programm einen Namen gemacht hat: Sie gibt Werke bei angesagten Choreografen vom alten Kontinent in Auftrag und führt so den Amerikanern die europäische Moderne vor Augen, über die man dort bisher gerne mal die Nase rümpfte – Angelin Preljocaj, Jacopo Godani oder Ohad Naharin, zuletzt gar Sidi Larbi Cherkaoui. Für das Gastspiel im Baden-Badener Festspielhaus schuf Benoit-Swan Pouffer, der französische Direktor des Cedar Lake Contemporary Ballett, eine Uraufführung.

Als eine Art De profundis des Raumzeitalters beschäftigt sich „on this planet“ mit der Schwerkraft, die das Ballett schon seit den geflügelten Sylphiden und Luftgeistern des 19. Jahrhunderts durch Abheben vom Boden zu überwinden versucht. Pouffers moderne Tanzsprache aber ist trotz aufblitzender Überbleibsel aus dem klassischen Ballett eher plastisch, athletisch, ja fast kernig. Ein wenig dumpf wirken die acht Menschen in ihrer tiefschwarzen Umgebung, wie Neandertaler einer fernen Zukunft, die sich immer wieder zu Gruppenritualen scharen, müde in sich zusammensinken und zuweilen ängstlich nach oben blicken, als müsse von dort eine Rettung kommen. Wurden sie eingesperrt, verloren, vergessen? Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind aufgehoben, Frauen heben Männer hoch, alle tragen ähnliche, lose flatternde Trikots. Die atmosphärische, zuweilen fast unheilvolle Auftragskomposition des Schweden Mikael Karlsson wechselt zwischen Orchester- und elektronischen Klängen; während eine Frauenstimme orakelt, dass auf diesem Planeten immer die Schwerkraft siegt, versuchen die hoffnungslosen Tänzer sie trotzdem zu überwinden, indem die Gruppe immer wieder einen nach oben stemmt.

Mit ihrer betonten optischen Individualität erinnern die technisch starken, schnellen und ausdrucksvollen Tänzer der New Yorker Kompanie an William Forsythes Frankfurter Ballett der 80er, 90er Jahre, auch die beiden Frauen in Angelin Preljocajs Duo „Annonciation“. Der Franzose stellt in dem 1995 entstandenen Stück die Verkündigung Mariä in den Mittelpunkt eines so eigenwilligen wie formal strengen Tanzstücks zu konträrer Musik von Stephane Roy und Antonio Vivaldi. Mit starken, weiten, zeichenhaften Bewegungen kommt der Engel (Acacia Schachte) zu einer zarten, passiven Maria (Harumi Terayama), wird vom strengen Verkünder zu einer mitfühlenden Schwester des ängstlichen Mädchens, führt und hebt sie sanft. Bis sie sich am Schluss in der empfangenden, offenen Pose wie anfangs der Engel dem einsamen Lichtstrahl darbietet, der aus der Höhe kommt.

Drei knallgelbe Türen spielen die Hauptrolle in „frame of view“, vor einem Jahr von der Niederländerin Didy Veldman für Cedar Lake geschaffen. Sie markieren ein Zimmer ohne Wände, Schauplatz eines Tanztheaters im collagenhaften Pina-Bausch-Stil, choreografisch leider wenig ergiebig, aber dafür höchst theatralisch und effektvoll inszeniert. Kleine Szenen illustrieren, wie Menschen sich verstecken oder Masken aufsetzen, wie sie Ausflüchte, Gesellschaft oder Liebe suchen. Grandios ein Ehestreit in Ultrazeitlupe zu Offenbachs Barcarole von der „Liebesnacht“, garniert mit unpassenden Konfettiwürfen eines irritierten Beobachters, oder der auf Zuruf herbeieilende Damenretter, der irgendwann drei Ohnmächtige in seinen Armen übereinander stapelt. Auch wenn das Stück zwischendurch einen arg bekenntnishaften Touch bekommt, beendet Veldman den abwechslungsreichen Abend mit viel Ironie. Eine spannende neue Kompanie also mit höchst interessanter Programmauswahl!

www.cedarlakedance.com / www.festspielhaus.de

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern