„Schwanensee“ auf höchstem Niveau

Yekaterina Kondaurova als Schwanenkönigin im Festspielhaus Baden-Baden

Baden-Baden, 26/12/2012

Auch dieses Jahr hatte das Sankt Petersburger Mariinsky-Ballett bei seinem traditionellen Dezember-Gastspiel im Festspielhaus Baden-Baden seinen prachtvollen „Schwanensee“ im Gepäck. Die märchenhafte Ausstattung – zarte pastellfarbene Kostüme und eine idyllische Landschaft im ersten Akt, ein reich geschmückter mittelalterlicher Palast und golden glitzernde Gewänder im dritten Akt (mit zahlreichen, für russische Produktionen typischen ausgefallenen Hüten und befiederten Kopfbedeckungen), ein überirdisch schimmernder, am Ende rosa leuchtender See sowie schneeweiße und schwarze Tutus in den Schwanenakten – weisen bereits auf die irreelle Stimmung hin, die diese Fassung charakterisieren. Konstantin Sergeyevs besonders märchenhafte Version des Ballettklassikers aus dem Jahr 1950 endet in sowjetisch-optimistischer Manier mit der Überwindung des Unterdrückers und der glücklichen Vereinigung der Liebenden. Die Perfektion, mit der die Kompanie dieses Paradestück vortrug, wurde an diesem Abend von kaum einem Misston gestört (wenn man auch die in dieser Version gewählte Musik des letzten Pas de deux als unpassend fröhlich empfinden mag): Das von Boris Gruzin virtuos dirigierte Orchester war ebenso in Form wie die beeindruckend homogene Kompanie. Von den Ersten Solisten bis zum Corps de Ballet sah man überall harmonische Proportionen, perfekt gerundete Füße, weiche Oberkörper, fließende Arme und vor allem die besondere Eleganz und Leichtigkeit, die zu den entscheidenden Merkmalen des Mariinsky-Balletts gehören.

Die größte Herausforderung im „Schwanensee“ ist die Besetzung der Doppelrolle der Odette/Odile. Tänzerinnen wie die unvergleichliche Ulyana Lopatkina (die dieses Jahr nicht mit auf Tournee kam) verstehen es, dem weißen Schwan eine beinahe überirdische Poesie zu verleihen; andere Ballerinen wie Viktoria Tereshkina, die ebenfalls dieses Jahr nicht nach Baden-Baden kommen konnte, zelebrieren den Verführungs-Pas de deux des dritten Aktes mit atemberaubender Virtuosität und sensationeller Technik. Sehr selten sieht man eine Interpretin, die beide Partien ungefähr gleich gut auf sehr hohem Niveau tanzt; zu diesen gehört Yekaterina Kondaurova.

Kondaurova, die bereits zwei Tage zuvor in Preljocajs „Le Parc“ im Festspielhaus durch ihre außergewöhnliche Expressivität begeisterte, ist eine große, langgliedrige, lyrische Mariinsky-Ballerina vom Schlage Lopatkinas, wie sie selbst die Petersburger Kompanie nur selten in dieser Qualität hervorbringt. Sie beeindruckt schon bei ihrem ersten Auftritt durch beinahe endlos lange Arme und Beine, einen vollendeten Port de bras, bei dem die Arme geradezu zu sprechen scheinen, einen biegsamen Oberkörper, eine königlich-erhabene Haltung und fast körperlose Leichtigkeit. Doch unterscheidet sie sich in ihrer Persönlichkeit und Interpretation der Rolle deutlich von ihrer weltberühmten Kollegin. Als weißer Schwan erscheint sie etwas weniger ätherisch und näher dem Irdischen verbunden, trotz ihrer Hingabe im Pas de deux mit Danila Korsuntsev, den sie immer wieder fragend anblickt, als wolle sie die Ernsthaftigkeit seiner Absichten erkunden. Ihre starke Persönlichkeit kommt ihr im dritten Akt zugute, wo sie mit Korsuntsev einen Anthologie-Pas de deux tanzte. Kondaurova verwirrte hier als perfekte Verführerin die Sinne ihres Partners nicht nur durch ein technisches Feuerwerk, sehr hohe Beine und zahlreiche Pirouetten, sondern auch durch ihre subtile Interpretation der Rolle. Besonders reizvoll war der Moment, in dem der Prinz sich seines Versprechens an den weißen Schwan zu erinnern scheint und Odile perfide die zarten Flügelschläge Odettes imitiert. An ihrer Seite erwies sich Danila Korsuntsev wie immer als sicherer, zuverlässiger Partner und sehr kompetenter Solist, der allerdings darstellerisch etwas neben seiner Funken sprühenden Partnerin verblasste.

Auch die weiteren Solorollen ließen kaum etwas zu wünschen übrig: Im Pas de trois glänzte vor allem Filip Stepin durch die Höhe und Leichtigkeit seiner Sprünge, Grigory Popov wirbelte als Narr mit seit Jahren unverminderter Energie über die Bühne und der schlanke und sprunggewaltige Andrei Yermakov glich als Rothbart selbst einem kraftvollen und eleganten schwarzen Schwan. Die Charaktertänze wurden liebevoll und mit beachtlicher Energie dargeboten. So fügte sich das Ganze zu einem Gesamtbild von einer stilvollen Harmonie und selbstverständlichen Klasse, die den Mariinsky-„Schwanensee“ weltweit einzigartig machen.

 

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