Ein Fest für die Ballerina

„Raymonda“ mit dem Mariinsky Ballett im Festspielhaus Baden-Baden

Den Mittelpunkt des Werkes bildet die Titelheldin, die eine Vielzahl an höchst anspruchsvollen Variationen zu tanzen hat. Viktoria Tereshkina demonstrierte in dieser Rolle geradezu eine Lektion in der heutigen Sankt Petersburger Technik.

Baden-Baden, 23/12/2014

Rekonstruktionen von Petipa-Ballettklassikern erregen derzeit großes Interesse, wie Alexei Ratmanskys spektakuläre neue „Paquita“ beim Bayerischen Staatsballett zeigt. Auch das Ballett „Raymonda“, das in einigen wenigen Versionen im Repertoire verschiedener Ballettkompanien überlebt hat, wurde 2011 an der Mailänder Scala auf der Basis der in der Harvard Theatre Collection erhaltenen Notationen rekonstruiert. Der Unterschied zwischen diesen historisch hochinteressanten Produktionen und heutigen Versionen der Petipa-Klassiker ist frappierend: die Pantomime wird nun meist auf ein Minimum reduziert, und die im 19. Jahrhundert sehr marginalisierten Männer gewinnen an Bedeutung. Ein Musterbeispiel hierfür ist Rudolf Nurejews „Raymonda“-Neufassung für die Pariser Oper, in der er zahlreiche Variationen für den tänzerisch und darstellerisch unterforderten Kreuzritter Jean de Brienne und seinen Rivalen Abderrachman sowie zwei anspruchsvolle männliche Solistenrollen schuf.

Konstantin Sergejew, der in der Sowjetzeit einige märchenhafte Klassiker-Neufassungen choreografierte (unter anderem den alljährlich in Baden-Baden gezeigten „Schwanensee“ aus dem Jahr 1950, erprobte 1948 sein Geschick an „Raymonda“. Er erzählt die dürftige Handlung auf sehr einfache Weise fast ohne Pantomime, so dass große Teile des Werkes aus reinen Tanzpassagen des Corps de Ballet und der Solisten bestehen, mit einer sehr starken Betonung des weiblichen Elements. Die Figuren bleiben flach und stereotypisch, und es gibt keinerlei Zweifel an der Rollenverteilung zwischen Gut und Böse – anders als beispielsweise bei Nurejew, in dessen psychologisierender Version sich Raymonda sichtbar zu dem gefährlichen Fremden Abderrachman hingezogen fühlt.

Gewiss hat Sergejews Sarazenenfürst, der Raymonda ihrem heldenhaften Verlobten Jean de Brienne entwenden will und den sie entrüstet zurückweist, nicht so überzeugende Argumente wie sein Nurejewscher Gegenpart, der die junge provenzalische Gräfin durch feurige Variationen in seinen Bann zu ziehen sucht. Yuri Smekalov muss sich in dieser Fassung damit begnügen, die Arme in die Luft zu reißen, sich vor Leidenschaft zu krümmen und Raymonda spanische und sarazenische Tänze vorführen zu lassen.

Sein Rivale Jean de Brienne hat es allerdings nicht viel besser: er profiliert sich zwar in der Traumszene des ersten Aktes als sicherer Partner und schwingt im Duell des zweiten Aktes siegreich das Schwert, doch muss er fast bis zur allerletzten Minute warten, bis er als Solotänzer aktiv werden kann. Der sprungkräftige Vladimir Shklyarov bordete in seinen zwei Minuten des Ruhmes über vor Energie, bevor er – auffälligerweise im Damensattel – mit seiner Angetrauten zu Pferde davontrabte.

Und was für eine Eroberung hatte er da gemacht! Es steht außer Zweifel, dass „Raymonda“ die weibliche Tanzkunst zelebriert. Den Mittelpunkt des Werkes bildet die Titelheldin, die eine Vielzahl an höchst anspruchsvollen Variationen zu tanzen hat. Viktoria Tereshkina demonstrierte in dieser Rolle geradezu eine Lektion in der heutigen Sankt Petersburger Technik, die sie mit absoluter Souveränität beherrscht. Gewiss handelt es sich nicht um den von Zurückhaltung, Harmonie und gutem Geschmack geprägten Tanzstil, der zu Petipas Zeiten üblich war und der vor einigen Tagen in der Münchner „Paquita“ wieder auferstand, doch ist Tereshkina weit entfernt von Exzess und gezwungenen Virtuositätsdemonstrationen, da sie über die Eleganz und Grazie der besten Mariinsky-Ballerinen verfügt.

Die Initiative, „Raymonda“ trotz der aufwändigen und prachtvollen Bühnenbilder (Simon Wirssaladze) und Kostüme (Elena Zaitseva) neben den Klassikern „Schwanensee“ und „Nussknacker“ erstmals mit auf Tournee zu nehmen, kann man nur begrüßen – ein bis auf den letzten Platz ausverkauftes Haus zeugt für das Interesse der Zuschauer an diesen hierzulande seltener gesehenen Werken. Schon für Alexander Glasunows wundervolle Partitur, die vom Mariinsky-Orchester unter Boris Gruzin interpretiert wurde, lohnte sich die Reise zu der Vorstellung, die dank exzellenter Besetzung zu einem opulenten tänzerischen Fest wurde.
 

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