Ein Panoptikum der Sinne
Fotoblog von Dieter Hartwig
Constanza Macras’ neues Stück „Megalopolis” untersucht das Leben in der gesichtslosen Großstadt
Vor ungefähr drei Jahren wurde Constanza Macras vom Goethe Institut Sao Paolo eingeladen, um vor Ort ein Stück über gelebte Globalisierung in einer der größten und unübersichtlichsten Städte der Welt zu erarbeiten. Heraus kam dabei „Paraiso sem Consolaçao”, ein mal düsterer, mal hysterisch bunter Bilderbogen über soziale Abgründe, Überlebenskampf und die Alltagsparanoia im Moloch Stadt. Dass das deutsch-brasilianische Auftragswerk dennoch wesentlich leichter konsumierbar und harmloser geriet als Macras’ sonstige Produktionen, die oft hart an der ästhetischen Schmerzgrenze angesiedelt sind, lag wohl auch daran, dass es nicht allen der eigens gecasteten brasilianischen Performer gelang, sich in das Macras’sche Universum aus Exhibitionismus, Verausgabung und augenzwinkernder Selbsttherapie hineinzufinden.
Nun macht Macras’ neuestes, mit ihrer Berliner Company Dorky Park entwickeltes Stück „Megalopolis” das Leben in der atemlos wuchernden Großstadt erneut zum Thema - und man könnte erwarten, dass es diesmal weitaus aggressiver und kompromissloser zur Sache geht. Doch weit gefehlt: Zwar ist auch „Megalopolis” eine wüste Collage aus Biografieschnipseln, post-apokalyptischem Tanztheater, einer Handvoll Popsongs und einer guten Portion kapitalismuskritischer Theorie, doch hat die Choreografin stellenweise derart das Tempo herausgenommen, dass das Stück manchmal fast wirkt wie eine Installation.
Zwischen rohen Betonblöcken, einem Haufen Sperrmüll und den schmierigen Telefonboxen eines Cybercafés (Bühnenbild Alissa Kolbusch) performen zehn rast- und ratlose Gestalten Bruchstücke ihres eigenen Lebens. Da erzählt eine Tochter dem Vater am Telefon von ihrer HIV-Infektion, eine Slumbewohnerin singt japanische Popsongs, eine paranoide Businessfrau rezitiert französische Philosophen - und eine neurotische Diva fantasiert sich in die Rolle der späten Leni Riefenstahl hinein. Denn - und so lautet die Arbeitshypothese des Stückes - in der menschenverachtenden Anonymität der Großstadt wird jedermann zum Schauspieler, Geschichtenerzähler und Dance-Entertainer - egal ob er im Slum lebt oder in einer gut bewachten Apartmentanlage. Zusammengehalten werden diese losen Schnipsel nur durch die Präsenz von Macras’ Akteuren: Besonders auffällig ist dabei der beängstigend elastische Franz Rogowski, der immer wieder mit verdrehten Gliedern quer durch den Raum stürzt, mit seiner asiatischen Geliebten stark berlinernd über den Speiseplan streitet und schließlich dem Publikum mit enthüllten Genitalien ein Saxofonständchen bläst. Eigentlicher Star des Abends ist jedoch die brasilianische Tänzerin und Schauspielerin Fernanda Farah (die bereits „Paraiso sem consolaçao” entschieden aufgewertet hatte), die sich so virtuos zwischen verschiedenen Stimmungen und Tonlagen hin- und herbewegt, dass man sie am liebsten in einem Castorf-Stück an der Volksbühne sehen möchte.
Seine Wirkung entfaltet „Megalopolis” allerdings vor allem durch die Videos der argentinischen Filmemacherin Maria Onis: Skylines, banale Straßenszenen aus Asien und Südamerika und kilometerweite gesichtslose Wolkenkratzer wechseln sich auf zwei Videowänden mit in Homevideo-Manier gedrehten Aufnahmen der Protagonisten ab. Besonders bedrückend ist ein Clip, der einen kleinen Jungen zeigt, der mit einer Pistole bewaffnet eine trostlose Straße entlanggeht.
Gab es in anderen Stücken von Constanza Macras noch längere Geschichten oder zumindest narrative Sequenzen, zerfällt in „Megalopolis” alles in seine Einzelteile. Zitate der Bewegungssprachen von Tanz-Kollegen wie Meg Stuart oder Jeremy Wade stehen neben Coverversionen berühmter Popsongs und verstärken den Eindruck, dass es für die Bewohner der Riesenstadt keine authentischen Momente mehr geben kann. Und wirklich scheint es, als sei jede Emotion nur geliehen und alles nur gespielt, bis ganz zum Schluss eine Japanerin und ihre brasilianische Nachbarin im Internetcafé gemeinsam ein Lied ins Telefon summen und dadurch einen Augenblick menschlicher Nähe erleben. Betrachtet man „Megalopolis” eher als Installation denn als Bühnenstück, kann man der Choreografin auch so manchen dramaturgischen Durchhänger verzeihen. Leider ist der Erkenntnisgewinn der Produktion dennoch relativ gering, es sei denn, man versteht den Dialog zwischen den beiden Sängerinnen als ironische Lebensweisheit für den zwischenmenschlichen Umgang in der Metropole: „I like you.” - „Why?” - „Because I cannot hate everybody.”
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