Zeigen zwischen Schwarz und Weiß

Mit der Rekonstruktion eines Solos von Gerhard Bohner endet die Akademie-Reihe „Politische Körper“

Berlin, 12/12/2010

All jene, denen damals die Mauer noch im Weg stand, kannten von Gerhard Bohners Soli nur Fotos: Der Tänzer mit kantigem Gesicht und einem Ausdruck geballter Konzentration reduziert in zähem Ringen die Form aufs äußerste. Manche Aufnahmen sind Ikonen des modernen Tanzes, auch von „Schwarz weiß zeigen“, uraufgeführt 1983 in der Akademie der Künste. Nach beinah drei Jahrzehnten kehrte das 50-Minuten-Solo an den Ort seiner Entstehung zurück, anverwandelt dank einer Videoaufzeichnung durch Cesc Gelabert. War dem namhaften spanischen Tänzer-Choreografen schon Bohners „Im (Goldenen) Schnitt“ in den anderen Körper hineingewachsen, gelang ihm mit jener bestechend klaren Materialrecherche ein dritter Coup auch an sensiblem Verständnis für die Denk- und Arbeitsweise eines so radikalen wie produktiven Einzelgängers der Moderne.

Spitzwinklig ragt ein Dreieck in den Bühnenraum hinein. Weiß ist die rechte, schwarz die linke Seite, Extreme, zwischen denen fast magisch die Bewegung hin und her pendelt. Im Stand vor dem Weiß beginnt sie, eine Lichtquelle scheint den Tänzer sanft, dann gleisend an. Zu zwei Klavier-Suiten von Händel, eingespielt auf dem Cembalo, spannt sich in rund zwei Dutzend Miniaturen ein Kosmos an Bewegungsmöglichkeiten auf. Mit Ausfallschritten auf Linie führen sie von einer Wand zur anderen, rücken immer mehr in die Tiefe auf immer kürzeren Wegen, bis sie im Scheitel des Winkels stoppen müssen. Arme werden zu Kurbeln, der Körper agiert frontal oder mit Rücken zum Betrachter, setzt sich vorn ins Profil. Wendungen geraten im Gehen zum Zickzack, finden zu Ruhe in der Torsion oder dem Lauf am Platz. Dann wieder will der Körper fliegen, getrieben durch den Schwung, den ihm ein Arm gibt, erkundet gleitend den Raum, mit verzögerter Drehung und flüchtiger Merkur-Attitüde aus dem klassischen Tanz.

Handflächen klappen und drehen, Finger zeigen, wohin immer. Als erstes Requisit holt der Tänzer eine dreistufig schwarze Treppe zu sich, zeichnet erst, Übergang vom Linienhaften zum Runden, Halbkreise an die Wände, nähert sich der Treppe vorsichtig wie einem Partner, umarmt sie, lenkt sie aus, legt sich auf jede Stufe, stützt sich auf das Möbel, erteilt wie am Katheder eine Lektion in Hand, auf Fläche und/oder Rücken weisend. Endpunkt des Erprobens: der Aufstieg, sieghaft steht er in klassischer Position, ehe er über den Boden rollt, den Schwung des Gehens zitierend, aus dem Nackenstand abläuft. Im kompakten zweiten Teil, dann zu drängender Musik von Glenn Branca, probiert er, was er an sich entdeckt hat, mit einer braun hölzernen Gliederpuppe aus. Dass deren viele Kugelgelenke ein Mehr an Möglichkeiten hergeben, erinnert an Kleists Schrift „Über das Marionettentheater“ und den neidvollen Blick des Menschen auf die Marionette. Gelabert buchstabiert sein Vokabular an ihr durch, stemmt sie in der Drehung, lässt sie schweben, legt sie flach ab, kniet sich daneben auf eine braune Kugel: Unsicher wie diese Balance ist wohl auch alle Recherche. Mit „Schwarz weiß zeigen“ endet die Akademie der Künste ihre verdienstvolle Reihe „Politische Körper“. Der Rückblick auf Tänzer und ihr Wirken ist zugleich Ausblick auf eine Fortsetzung.
 

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