Ein überfälliges Thema
Dokumentarfilm „Becoming Giulia“ läuft ab 18. Januar in den Kinos
Wenn inmitten einer ernst blickenden Darstellerriege Eric Gauthier als Kaiser Nero vorgestellt wird, lachen die Zuschauer im Theaterhaus erst mal laut – vielleicht war das Programm von Gauthier Dance bisher doch ein bisschen zu humorlastig. Die Amüsierwut hat sich schnell verflüchtigt. Christian Spucks Uraufführung „Poppea//Poppea“ ist ein durch und durch ernstes Stück Tanztheater, vom Chef der kleinen Theaterhaus-Tanztruppe im Programmheft als das „eine“ Stück begrüßt, das am Ende des Titel-Countdowns seit „Six Pack“ und „High Five“ stehe. Nach viel Klamauk und Tanzgeblödel dürfen die neun Tänzer der Kompanie endlich wieder zeigen, dass sie wesentlich mehr können. Gerade und vor allem ihr Direktor Eric Gauthier.
Auch im Theaterhaus hat sich Christian Spuck von seiner Lieblingsausstatterin Emma Ryott wieder ein schickes Ambiente bereiten lassen, auf der sparsam mit ein paar Stellwänden, Tischen und Stühlen möblierten Bühne kommen ihre Renaissance-Kostüme besonders prachtvoll heraus. Martin Donner, ebenfalls ein langjähriger Weggefährte Spucks, hat einen erstaunlichen Soundtrack aus gesampeltem (und manchmal gemeucheltem) Monteverdi, ein wenig Intellektuellen-Pop und viel elektronischen Klängen abgemischt. Dass Spucks 80-minütige Inszenierung mit dem Hauch einer Ahnung an die französischen Theaterspektakel Ariane Mnouchkines erinnert, liegt vielleicht nur am charmanten Akzent von Marianne Illig, die uns als theatralische Ansagerin die handelnden Personen des „Poppea“-Stücks vorstellt, das hier von einer offensichtlich französischen Theatertruppe aufgeführt wird. Aufgereiht sitzen die Akteure an der Wand, gegenseitig filmen die Tänzer in Großaufnahme ihre Gesichter, Filmeinspielungen ergänzen die Spiel-im-Spiel-Aktionen auf der Bühne.
Sprunghaft und doch zielstrebig folgt die Handlung dem Opernlibretto zu Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“, wo Neros ehrgeizige und skrupellose Geliebte nacheinander alle Gegner aus dem Weg räumt, bis sie schließlich den römischen Kaiser heiratet, der ihr in besessener Liebe verfallen ist. Garazi Perez Oloriz spielt diese Poppea als männermordende Hure voll Machtgier, klein, raffiniert und dabei von solch enigmatischer Ausstrahlung, dass wir bald die Faszination des römischen Despoten für sie teilen. Eric Gauthier, der mit einem güldenen Lorbeerkranz zunächst arg harmlos über die Bühne irrt, entwickelt seinen Nero zu einer hochspannenden Groteske: mit wählerisch gespitzten Fingerchen windet er sich brandgefährlich an der Grenze zum Wahnsinn entlang und brüllt alles nieder, was ihm in den Weg kommt. Hinter dem flapsigen Alleinunterhalter Gauthier steckt ein großartiger Tänzer und Darsteller, wie schön dass Christian Spuck uns daran erinnert.
Zwei der Poppea-Opfer schickt der Choreograf erst in ein langsames, nachdenkliches Duo, dann per Filmeinspielung ins Wasser – als Neros Frau zieht sich Isabelle Pollet-Villard in stiller Größe zurück, das Blut des Philosophen Seneca (William Moragas) ergießt sich in surreal schönen roten Wolken. Immer wieder finden aber sich dazwischen alle Tänzer zu großen Ensembleszenen, in denen Spuck vertikale Reihen gegen diagonale Linien stellt, immer wieder fallen dem Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts berückende Bilder ein – die groteske Pantomime etwa, in der Poppea von der ganzen Gruppe mit einem großen Pfeil ermordet werden soll, oder die Stafetten-artige Reihe, wo Bewegungen wie in einer dumpfen La-Ola-Welle am Tisch entlang durchgegeben werden. Nero bläst Seneca im wahrsten Sinn des Wortes das Licht aus, bevor Spiel und Theaterwirklichkeit plötzlich in eins fallen und der despotische Nero sich als despotischer Chef der Theatertruppe entpuppt, alle anschreit und hinausjagt. Zu Monteverdis berühmtem Schlussduett „Pur ti miro“ feiert ein Pas de deux für Nero und Poppea dann den endgültigen Triumph – nicht unbedingt der Liebe, eher der Besessenheit.
Wie stark Christian Spucks Bilder allerdings an frühere Stücke erinnern, das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden - da schimmert bei der Jagd über die Tische seine „Lulu“ durch und beim verwirrten Nero der König aus „Leonce und Lena“. Wenn Martin Donner seine elektronischen Schläge à la Thom Willems donnern lässt, dann sieht man William Forsythes „Impressing the Czar“ mit den historischen Kostümen und grotesken Szenen vor sich. Der Vergleich mit diesem über 20 Jahre alten Stück erinnert mit kleinen Nadelstichen daran, dass Christian Spuck als Choreograf auch hier nichts Neues erfunden hat, dass sein Bewegungsvokabular immer wieder hinter der theatralischen Begabung zurücksteht. Die windmühlenartig kreisenden Arme, die nach hinten hinausgestoßene Arabesque, die aus der vertikale gekippte und von mehreren Männern gehaltene Frau, das eingefrorene Laufen mit abgewinkelten Knien und Füßen, das Durchs-Knie-Fassen, all diese bekannten Elemente seiner Sprache setzt er einfach immer wieder anders zusammen, durchaus mit neuen Elementen aufgepeppt, aber eher beflissen als elegant. Ob das für sein zukünftiges Wirken als Züricher Ballettchef reicht, sei dahingestellt; im Theaterhaus reicht es für einen Abend, der Gauthier und seine Kompanie künstlerisch auf das Niveau ihres Eröffnungsprogramms zurückhebt.
www.theaterhaus.com
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments