Träumen die Androiden von elektrischen Tänzern?

Yui Kawaguchis „Andropolaroid“ auf dem Xtra Frei Festival 2010 in Bremen

Bremen, 15/07/2010

von Maja Maria Becker

Dieser Roboter sah nicht nur aus wie sein menschliches Pendant, er verhielt sich auch so: Er lächelte, legte freundlich den Kopf auf die Seite und war ferngesteuert. Diese Schöpfung von Professor Ishiguro aus Osaka war 2009 auf der Art Basel zu sehen. Mit Silikon überzogen, konnten über 50 Motoren die Mimik des Gesichts besser steuern als jeder Autist. Japaner sind verrückt nach diesen für uns noch immer so kalt und abweisend wirkenden Objekten. Wir mögen an E.T.A. Hoffmanns Olimpia denken, an ihren Geliebten, der zuerst fasziniert ist und dann den Verstand verliert. Oder an Pandora, die von Hephaistos dem Manne als Back- und Bettgefährtin erschaffen wurde, als erster Haushaltsroboter der Welt sozusagen. Sie brachte bekanntlich das Übel über die Menschheit.

Der Raum ist dunkel. Kaltes Licht hängt in Form von Neonröhren in einer punktuellen Matrix von der Decke, blitzt hier auf und da auf, gibt dem Raum Struktur, Bewegung, verleiht ihm ein Eigenleben. Der Android darin ist ganz allein, nur in eine Art Laborkittel gekleidet. Wie auf Photographien werden einzelne seiner Bewegungen belichtet, und wie auf einem Polaroid wirken die Bilder nach, wiederholen und verändern sich, gewinnen an Schärfe, während längst wieder Dunkelheit herrscht. Der Raum bleibt fremd und abweisend; das Blinken der Lichtgitter, ein Herzschlag aus Ultraschallimpulsen, technoid-industrielle Klänge: eine abweisende Choreographie.

Das im Mai 2010 in Köln uraufgeführte Stück „Andropolaroid“ war nun in Bremen auf dem Xtra Frei Festival zu sehen. Die in Japan geborene und in Berlin lebende Tänzerin und Choreographin Yui Kawaguchi widmet sich darin dem Innenleben eines Androiden, seinen Zwängen, seiner Programmierung, den Bits und Bytes, die seine Welt abbilden.

Roboter stecken noch immer in Hundeform und in den Kinderschuhen. Längst zur ökonomischen Unausweichlichkeit hochstilisiert, ist der Android und seine Gefühlswelt in der Kunst bis heute unterrepräsentiert. Doch Yui Kawaguchi interessiert nicht allein der technoide Mensch. Im Kontakt mit dem Unbekannten wird der Android zum Sinnbild der japanischen Gesellschaft schlechthin, die in ihrer Abschottung den Gestus der Höflichkeit als gesellschaftliche Zwangshandlung über Jahrhunderte perfektionierte, und die Tänzerin überträgt diesen Hintergrund ihrer persönlichen Migration in ihr Solostück, als Aufeinandertreffen zweier Kulturen.

Ein roter Pullover genügt, um den täglichen Trott zu hinterfragen, zu durchbrechen. Er fällt plötzlich in diesen schwarzweißen Raum hinein. Was als technikintegriertes Kleidungsstück dem Menschen auf die Pelle rücken und sich der Vision von der Mensch/Maschine-Verbindung annähern soll, dient hier als kultureller Katalysator zwischen Mensch und Roboter, zwischen Japan und Deutschland gleichermaßen. Dem Stoff scheint Musik zu entströmen: das volkstümliche Heideröslein, frei von Romantik als quietschige Japan-Pop-Nummer interpretiert. Während den Androiden normalerweise menschliche Züge aufwändig hineinprogrammiert werden, ist hier die Tänzerin in der Rolle der Maschine. Der Tanz ist geprägt von Technischem, Kaltem, von gefühllos-repetetiven Gesten und Gesichtsausdrücken, von der Imitation robotischer Bewegungen durch einen Menschen. Das klassische Bewegungsrepertoire des Balletts existiert nur in der Artifizialität von Spieluhrbewegungen. Im Kontakt mit dem Fremden aber erlebt der Android Identität in ihrem besten Sinne: wechsel- und erweiterbar.

Sein Dasein verändert sich grundlegend. Die neuen Klänge und die rote Kleidung setzen die jeweiligen Erfahrungswelten einander aus, und die zunächst ängstliche Begegnung dieser beiden Kulturen wird zur röslein-roten Liebesgeschichte: Die Bewegungen des Androiden werden natürlicher, reicher, er kann nun sowohl Roboterhund sein als auch in schwungvoll impulsgebenden Kontakt treten mit den bislang nur Licht emittierenden Leuchtstoffröhren. Vielleicht gelingt es uns ebenso, unsere Scheu dem Fremden gegenüber zu überwinden. Yui Kawaguchi als Androidin lädt sich die Goethe-App herunter, wechselt ihren Skin, macht ein Update ihres Avatars, erweitert ihre Freundesliste. Und wir Zuschauer könnten uns nun vor die Bühne stellen, in die Kamera lächeln und brav einen Schnappschuss von uns selbst machen.

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