Edeltanz im Feenwald

George Balanchines „Sommernachtstraum“ an der Mailänder Scala

Berlin, 05/01/2011

Vom Sommer und seinen Liebeswirrnissen träumt es sich besonders gut im Winter. Kein Wunder, dass Arthaus zum Jahresende hin einen „Sommernachtstraum“ auf den Markt bringt. Diesen verantwortet kein Geringerer als George Balanchine, für den Handlungsballette nicht eben typisch sind. Im Januar 1962 gönnte er sich die Verwirklichung seines Traums: Shakespeares Meisterkomödie, in der er während seiner Ausbildung in Petersburg als Elfe mitgewirkt hatte, zu Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy in eigener Choreografie mit dem New York City Ballet auf die Bühne zu bringen. Die Nummern der Schauspielmusik, auch sie hier gut durchmischt, reichen freilich nicht für eine abendfüllende Produktion: Die Ouvertüren zu „Athalie“, „Die schöne Melusine“, „Die erste Walpurgisnacht“ und „Die Heimkehr aus der Fremde“ sowie zwei Sätze aus der Sinfonia für Streicher Nr. 9 ergänzen sie da, wo es notwendig schien. Erfolg war dem aus 16 Teilen gefügten Zweiakter reichlich beschieden, und so mag jeder entscheiden, welche der international gleichermaßen oft übernommenen Versionen, etwa von Heinz Spoerli und John Neumeier, er favorisiert.

Jene Balanchines liegt nun in einer Aufführung der Mailänder Scala von 2007 als DVD vor. Luisa Spinatelli hat sie in einen zauberisch blauen Wald mit angeschrägt durchscheinendem Tempel für den 1. Akt und, in bester italienischer Tradition, einen Prospekt mit illusionistischem Festsaal für den 2. Akt gekleidet: nix Athen also, sondern barockisierte Antike. Hermia, die traurig ungeliebte, kreuzt früh das Defilee der Falterwesen um Puck; Oberon und Titania streiten herrschaftlich um den Knaben; und auch die Handwerker irren kurz umher. Schön wie Aurora lagert Titania vor rosawolkigem Hintergrund in einer Rosenblüte, darf mit einem Kavalier tanzen. Puck scheitert beim Diebstahl des Knaben, und so schickt der erzürnte Oberon, nach grandioser Variation, seinen Kobold nach der Wunderblume, die riesig im Hintergrund blüht. Mit der bekannten Wirkung: Die Paare geraten noch mehr in Verwicklung, Titania erlebt eine Straf-Romanze mit „Esel“ Zettel. Die versuchte Einstudierung der Handwerker hatte Puck aufgelöst, noch ehe das Spiel hätte entstehen können. Nach rund 65 Minuten legt sich der Spuk, der Dreifach-Hochzeit steht nichts im Weg.

Leider auch keine weitere Handlung. Gute 35 Minuten lang widmet sich Akt 2 nur dem Edelfest bei Hofe als einem Divertissement der Nobelgüte. Die Handwerker sind, man muss das bedauern, ganz abhanden gekommen, was Shakespeares Witz schlicht ausschaltet. An zwei blumenumwundenen Lianen enteilt am Ende Puck, gerade noch rechtzeitig fertig mit dem Aufkehren der Partyrückstände, inmitten irrlichternder Geschöpfe nach oben. Wer opulenten Tanz in häufig sinfonisch qualitätvoller Choreografie sehen möchte, wird auf seine Kosten kommen. Balanchine bedient sich des imperialen Vokabulars seiner Petersburger Anfangsgründe und baut daraus prächtige Tableaux, reizvoll besonders für die Frauengruppe. Mit Alessandra Ferri und Roberto Bolle sind Titania und Oberon so prominent wie potent besetzt, Massimo Murru brilliert als Kavalier, bezaubernd frisch wirkt Riccardo Massimis Puck in seiner tänzerisch formidabel unterfütterten Spielfreude. Unter den Waldwesen sind auch Schüler der Scala-eigenen Tanzakademie. Balanchines „Sommernachtstraum“: ein Fest für die Sinne und von ästhetisch hoher Strahlkraft.

George Balanchine: „A Midsummer Night’s Dream“, zwei Akte, Ballett, Orchester und Chor des Teatro alla Scala, 2007, Arthaus Musik, 100 Minuten

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