Die Dekonstruktion der Helden-Show

tanzbar_bremen begeistert mit der integrativen Tanztheaterproduktion ›Helden‹

Bremen, 10/02/2011

Helden gibt es zur Genüge: Ob mythische Helden, Comic-Superhelden, Kriegshelden, Helden der Arbeit oder Sportler und Popstars als moderne Helden. Zum Helden wird man ernannt, durch Legenden, Orden oder durch die Massenmedien, die Helden konstruieren, um sie vermarkten zu können. Neben den Helden, die sich durch außergewöhnliche Fähigkeiten oder Taten auszeichnen, rücken die Medien auch „gewöhnliche“ oder „behinderte“ Menschen ins Rampenlicht, die sie als „Helden des Alltags“ zur Schau stellen. Dass es dem Showbiz dabei nicht um ehrliche Anteilnahme geht, sondern vielmehr um die Inszenierung einer Freakshow, das zeigt die neue Tanztheaterproduktion der tanzbar_ bremen, die in der Schwankhalle Bremen uraufgeführt wurde.

Unter der Regie des Choreografen und Tänzers Felix Landerer treffen professionell ausgebildete und körperlich beeinträchtigte Tänzerinnen und Tänzer aufeinander. Während die nicht beeinträchtigten Akteure mit ins Groteske übersteigerter Mimik und Gestik das Showgeschäft repräsentieren, spielen die beeinträchtigten die Kandidaten, die in der Show in Szene gesetzt werden sollen. Doch die „Ausstellungsobjekte“ entziehen sich der Inszenierungsmaschinerie, verwickeln stattdessen den Moderator (mit herrlicher Eitelkeit von Armin Biermann dargestellt) und seine dauerlächelnden Showgirls (Jenny Ecke und Corinna Mindt als überdrehte Retortentwins) in außerplanmäßige Tanzeinlagen.

In diesen Szenen überzeugt das Ensemble mit seinen unterschiedlichen Bewegungsformen: Der gekünstelten Art des immer grinsenden Moderators und der synchronen Performance seiner dauerlächelnden Showgirls stellen die Kandidaten ihre natürliche und individuelle Art des Tanzens gegenüber. Diese Eigenwilligkeit der Kandidaten versucht der Moderator zu überspielen oder wegzudrängen. Das Mikrofon immer zur Hand und wie eine Waffe auf die im Sessel positionierten Kandidaten gerichtet, will er den Rhythmus vorgeben und verliert schließlich doch die Contenance. Felix Landerer will in „Helden“ nicht die Behinderungen der beeinträchtigten Tänzer hervorheben, sondern zeigen, dass diese „etwas zu geben haben und sich nicht in ein Format pressen lassen“. Neele Buchholz, Doris Geist, Frank Grabski und Sven Cenk Halberstadt beweisen, dass sie unabhängig von körperlichen Beeinträchtigungen ihre eigenen Ausdrucks- und Bewegungsformen besitzen. Für ihre Fähigkeiten wollen sie nicht bestaunt oder bewundert, sondern als gleichberechtigte Partner anerkannt werden. Dass die Betonung der Natürlichkeit und die Ausstellung der Behinderung jedoch dicht beieinanderliegen, verdeutlicht der Szenenapplaus, der immer dann einsetzt, wenn die beeinträchtigten Akteure tänzerisch etwas bieten, das der eine oder andere im Publikum ihnen wohl nicht zugetraut hätte.

Was dem Stück an sich aber in keiner Form schadet, denn zu beeindruckend sind die gemeinsamen Tanzeinlagen. Wenn Neele Buchholz, eine junge Tänzerin mit Down-Syndrom, eines der Showgirls in eine sensible Choreografie verwickelt, kann man sich der Intensität nicht entziehen. Oder wenn der contergangeschädigte Schauspieler und Tänzer Frank Grabski den Moderator durch seine Kommandos in eine gemeinsame Performance zieht und jede Form von Mitleid ablehnt, kommentiert das Publikum diese Leistung mit Staunen und Lachen. Gemeinsam gelingt es dem integrativen Ensemble in zärtlichen und dynamischen Szenen das Showgeschäft und seine Heldenkonstruktionen zu entlarven und zu dekonstruieren, indem es nicht das Anderssein, sondern die Normalität eines Lebens mit Beeinträchtigung ins Rampenlicht rückt. Das Publikum der ausverkauften Schwankhalle bedankte sich für die Vorstellung mit lang anhaltendem Applaus und Jubel.

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