„Isola“: Hsuan Cheng und Ensemble

„Isola“: Hsuan Cheng und Ensemble

Makabrer Mummenschanz auf der Insel

Daniel Goldins neues Tanzstück „Isola“ begeistert

Münster, 30/05/2011

Wenn die Damen mit trippelnden Schritten riesige Sträuße blühender Kirschzweige hereintragen und die Männer in Röcken aus knisternder Goldfolie Sträuße aus kristallin glitzernden Wasserflaschen im Arm halten, sind Japans Poesie und fernöstlicher Charme ganz nah. Aber die Idylle trügt. Ein schrill bunter makabrer Mummenschanz setzt nach düsteren Ritualen ein. In zwei völlig gegensätzlichen Teilen seines 90-minütigen neuen Tanzstücks „Isola“ tastet Daniel Goldin mit seinem 12-köpfigen Ensemble in der Ausstattung von Matthias Dietrich und Gaby Sogl das Terrain „Insel“ ab. Womöglich hat den Erkundungen im Probenverlauf Japans Naturkatastrophe eine neue Dimension eröffnet, aktuelle Schärfe und Brisanz verliehen.

Ein hölzerner Steg ragt weit ins Parkett. Durch die Öffnung in einer hohen Bretterwand fällt ein Lichtstrahl bis zu den abgebrochenen Pfählen, die das frei schwebende schmale Holz tragen. Alice Cerrato im strengen Hosenanzug marschiert nach vorn und rezitiert mit leiser Stimme und sparsamer Gestik wohl italienische Definitionen von „Insel“ („isola“ – „desolata“ - „isolazione“….ist auszumachen). Hsuan Cheng tänzelt mit geschmeidigen, eleganten Bewegungen herein. Immer mehr Menschen in dunklen Anzügen, Overalls, Hosenröcken treten auf – mit ernsten Minen, in sich gekehrt. Ein grüblerischer Asket Damiaan Veens fällt auf, ein kurzes Aufblitzen von Fröhlichkeit auf dem Gesicht der zierlichen Helena Maciel Fernandino, die weit ausladenden Gesten von Ines Fischbach, die hohen Sprünge von Antonio Rusciano. Als Cluster durchmessen alle gemeinsam den Raum diagonal, fädeln sich auf zum Defilee auf dem Catwalk.

Elegische Kammermusik mischt sich mit motorisch vibrierender südamerikanischer Folklore, Oboe und Klarinette wetteifern mit Kindergeplapper, sakrale Klänge (des bulgarischen Frauenchors „Le Mystère“) unterstreichen die Aura mysteriöser Rituale. Ohne Zäsur greift ein Musikstück in das nächste, wechseln Soli mit dynamischen Gruppensequenzen. Seltene Berührungen wirken harsch: Männer schultern Frauen und schleppen sie wie Mehlsäcke weg. Hart stoßen Hände, fallen Körper gegen die Wand.

Dann plötzlich fesselt die berückend poetische Aura Japans den Blick. Doch ebenso unvermittelt stürzt die Wand um. Wie ein Leuchtturm ragt die schmale Lichtsäule aus dem Eiland. Fröhliche Menschen in bunten T-Shirts nutzen es als Disko-Tanzfläche. Aber die Katastrophe greift Platz: Von den Seiten schieben Männer mit Mundschutz in weißen Schutzanzügen gelbe Einkaufswagen und Schubkarren voll Wasserflachen herein, bauen ein Kunstmeer um die Insel (während Charles Trénet „La Mer“ besingt). Ein Wasserstrom aus blauer Plastikfolie durchschneidet die Insel, getränkt mit Öl, das die Schutzkleidung der Arbeiter besudelt. Bald sind alle Menschen maskiert, tragen gelbe Gummihandschuhe und -stiefel. Alice Cerrato hat sich einen Flaschengürtel als Notration um die Taille geschnallt. Denn auch das kostbare Nass verändert sich. Mit brauner Soße überschütten übermütige Freunde einen Badenden in einem Kinderpool. Bevor das Lachen über die ulkigen Episoden im Halse steckenbleibt, verlischt abrupt das Licht. Applaus braust auf.

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