Eine Reise auf dem „Friend-Ship“
Warum die taiwanische Tanzszene aktuell so boomt und warum das auch wichtig ist
Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan und das Tjimur Dance Theatre beim Kunstfest Weimar
Mit dem Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan und dem Tjimur Dance Theatre sind wahre Weltstars und solche, die es werden wollen, beim Kunstfest Weimar zu Gast. Dass es Festivalleiter Rolf C. Hemke gelungen ist, beide als Deutschlandpremieren in die Goethe- und Schillerstadt zu holen, kann als gelungener Coup gelten.
Taiwan trifft Goethe: „Ljuzems’s Walk“ von Ljuzem Madiljin
Das Tjimur Dance Theatre ist dabei nicht nur mit einer großen Bühnenproduktion zu Gast, sondern bringt mit „Ljuzems’s Walk“ der Tjimur-Company-Gründerin Ljuzem Madiljin auch eine kleine, feine und sehr öffentlichwirkeitswirksame Performance nach Weimar, die auch eine Art diskursiver Ausgangspunkt für die beiden anderen Bühnenarbeiten sein könnte. Madiljin schlüpft dafür in Gewand und Gestalt einer Schamanin der Paiwan, einer indigenen Gemeinschaft Taiwans. In schwerem bestickten Brokat, mit silbernen, rasselnden Schmuckketten und ebensolchen Armreifen, sowie mit Feder geschmückter Mütze lädt sie zur „performativen Selbstfindung“ durch Weimar und zwar pünktlich zu Goethes 275. Geburtstag.
Erhaben schreitet sie zunächst in kleinen Schritten über den Marktplatz, bricht dann blitzschnell aus in einen großen Bogen, stößt einen Schrei aus, wimmert und jault, wird stumm und hebt später zu einem opulenten Jubelgesang an. Ganz nah kommt sie den Menschen in der anwachsenden Menge, zieht hier und da einzelne heraus, tanzt mit ihnen, oder schreitet einfach Arm in Arm. Das alles in einer strengen, trotz aller Nähe unnahbaren Würde und buchstäblichen Aufrichtigkeit.
Sie saugt die Umgebung auf und ist doch gleichzeitig ganz in ihrer eigenen Welt. Über einem Modell der Stadt schabt sie mit ihren Armreifen, ihr filigraner Silberschmuck klingelt wie ein feines Glockenspiel. So schreitet sie durch Weimar, durch Goethes Haus und Gärten, um dann schließlich nach einer Stunde in einer Art Schwächeanfall, gestützt von zwei Zuschauerinnen in der Musikhochschule zu verschwinden. Zurück bleiben staunende und ergriffene Gäste.
Transzendentales von Tieren und Menschen: „Sounding Light“ des Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan
Das 1973 gegründete Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan ist längst eine Institution des internationalen Tanzes. Im Jahr 2020 hat der Gründer Lin Hwai-min den Staffelstab der künstlerischen Leitung an Cheng Tsung-lung weitergegeben, der bereits zuvor mit der Kompanie zusammen gearbeitet hat, und nun „Sounding Light“ mit 12 Tänzer*innen auf die Bühne gebracht hat.
In einem leeren weißen Raum, den Lulu W.L. Lee mit kristallinen Lichtskulpturen auskleidet, die irgendwo zwischen Unterwasserreflektionen und Nordlichtern changieren, liegt ein Haufen Menschen. Die Herren tragen weiße Hosen, die Damen dazu noch weiß-transparente Oberteile, Sie strecken ihre Hinterteile nach oben, wiegen sich in unsichtbaren Wellen. Eine Tänzerin bricht aus und das dynamische Spiel beginnt, das über eine Stunde die Besucher*innen des Nationaltheaters in ihren Bann schlägt. Hier trifft Schwanensee auf fernöstliche Kampftechniken, Gesänge und Tierstimmenimitationen. Immer wieder werfen sich die Tanzenden in die Imitation von Tierfiguren mit bewegten Körperskulpturen und erzeugen dazu mal mit Körperpercussion, mal nur mit ihren Stimmen einen wechselnden Soundteppich. Oder singen.
Die Mitglieder der Kompanie bewegen sich in Gruppen und solistisch, kreiseln in perfekt abgestimmten rhythmischen Bewegungen über die Bühne, leeren und füllen sie. Oft in einem wiegenden Modus, aber auch Anleihen an Kampfsporttechniken sind wahrnehmbar. Ein Tänzerin kauert hinten, während die anderen die Vorderbühne bespielen, dann schert jemand aus und die Herausgefallene integriert sich wieder.
Formationen finden und brechen sich, alles ist in einem unübersehbaren Flow von faszinierender Genauigkeit. Jede abweichende Geste entpuppt sich als Start zu einer neuen Variante, die dann von einem Teil der Gruppe aufgenommen wird. Bisweilen kommt es gar zu kleinen (Sing-)Duellen, doch insgesamt ist es hier das harmonische gemeinsame Schwingen aller, das eben genau diese Variationen und dieses Ausbrechen zulässt. Profilieren ohne herabzusetzen.
Am Ende bleibt nach all den tierischen Anspielungen eine Tänzerin in Embryonalstimmung auf der nackten Bühne zurück. Symbolischer Schluss einer im besten Sinne transzendentalen Performance. Fantastischer Tanz einer Kompanie, die, wie sie hier zeigt, zurecht als eine der besten und interessantesten der Welt gilt.
Auf hoher See: „bulabulay mun? How are you?“ vom Tjimur Dance Theatre
Gerade erst in Tuchfühlung mit dem internationalen Publikum geht das Tjimur Dance Theatre. Es wurde vor 15 Jahren von Ljuzem Madijin gegründet als Projekt, das indigene traditionelle Tanztechniken mit zeitgenössischem Tanz verbindet. Die Mitglieder kommen alle aus dem Volk der Paiwan und auch auf der Bühne, in den Gesängen finden sich traditionelle Gesänge dieses Volkes, der größten indigenenen Gemeinschaft Taiwans. Für „bulabulay mun?“ hat Baru Madiljin die Choreografie übernommen und einen Abend zum Meer und dem menschlichen Kampf ums Überleben geschaffen.
Auf der leeren weißen Bühne der Weimarer Redoute liegt eine Tänzerin in einem roten Gewand. Vom Bühnenrücken laufen strahlenartig roten Fäden zu ihr und das gesamte Bild wird großformatig auf die Bühnenwand projiziert, wie eine Spiegelung. Dann kommt Bewegung in die Sache. Zu Wellenrauschen und dem Dröhnen von Schiffssirenen wird die Frau an den Fäden erst aufrecht sitzend gezogen, dann über den Boden von der Bühne verschluckt.
Auftritt von drei gebückten Männern in gelb und einer roten Frau sowie einem etwa drei Meter langen Ast. Wiegende Bewegungen, repetitives Fußscharren und rhythmisches Trommeln mit den Füßen und dazu klar definierte Atemgeräusche gestalten den Fortgang dieses Abend. Elemente, die über die ganzen 90 Minuten immer wieder auftauchen, dazu elegisches Singen, das mitunter ein chorisches Hin und Her wie beim Gospel-Song aufweist. Die Texte werden nicht übersetzt, es handelt sich um traditionelle Volksweisen zum menschlichen Zusammenhalt. Parallel zum Singen wird natürlich getanzt.
Der Abend wechselt zwischen kraftvollen, mitunter akrobatischen Anwürfen wie Handständen oder Figuren, wenn etwa die sechs Tanzenden einander im Wechsel gegenseitig auf dem Rücken stehen. Immer wieder kommt auch der Holzstab zum Einsatz. Menschen werden daran gezogen, tauchen unter ihm weg, wenn er wie eine lange Waffe eingesetzt wird. Dazu werden kontinuierlich Meeresbilder eingespielt, mal reine Wellen, mal mit Strand, mal in unscharfer Tilt-Shift-Optik.
Zum Ende darf es sogar noch einmal richtig komisch werden: Quer über die Bühne wird ein schmaler roter Teppich ausgerollt, auf denen alle sechs mit steppenden Tritt eine euphorische Hymne singe. Nachdem sie rechts von der Bühne verschwunden sind, fangen sie links wieder an, doch dieses Mal verkürzt jeweils ein Ensemblemitglied das rote Band, so dass der Weg immer kürzer und kürzer wirkt. Denn auch der schönste Abend muss ja mal zu Ende gehen.
Das Tjimur Dance Theatre erschafft mit „bulabulay mun?“ einen bild- und stimmgewaltigen Tanzabend, ganz ohne Folklore aber mit sichtbarem Rückgriff auf die eigenen kulturellen Wurzeln. Taiwan als Tanzland hat sich auf diesem Kunstfest als starker Partner präsentiert, dem es gelingt fernöstliche und westliche Traditionen scheinbar mühelos zu einem Tanzamalgam zu vereinen, das ganz ohne Bruchlinien eine neue hybride Existenz schafft. Festivalleiter Hemke kündigte bereits an, die Tjimur-Kompanie wieder einladen zu wollen.
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