Baden-Badener Premiere des John-Neumeier „Orpheus“ mit dem Hamburg Ballett und Gast-Solist Roberto Bolle
Baden-Badener Premiere des John-Neumeier „Orpheus“ mit dem Hamburg Ballett und Gast-Solist Roberto Bolle

Mit zweijähriger Verspätung

Roberto Bolle debütiert als John Neumeiers „Orpheus"

oe
Baden-Baden, 14/10/2011

Über die Komplikationen der Hamburger „Orpheus“-Premiere von John Neumeier vor zwei Jahren habe ich hier im koeglerjournal vom 8. Dezember 2009 und dann noch einmal am 11. Dezember referiert (und noch ausführlicher in der amerikanischen danceviewtimes am 15. Dezember). Dort habe ich auch hingewiesen auf die detaillierte Beschreibung der Produktion durch Annette Bopp am 7. Dezember im Tanznetz. Ich kann mir hier also die nochmalige Rekapitulation der Umstände dieser Aufführung ersparen. Sie war bekanntlich geplant mit Roberto Bolle in der Titelrolle, der hier seine erste Rolle in der Zusammenarbeit mit einem Choreografen der Spitzenklasse kreieren sollte, nachdem er in seiner damals bereits 13-jährigen Karriere ausschließlich Partien getanzt hatte, die für andere Tänzer choreografiert worden waren – praktisch das ganze Repertoire von „La Sylphide“ bis zu den Nurejew-Einstudierungen der Klassiker. Neumeier hatte die Rolle mit ihm weitgehend erarbeitet, als er verletzungsbedingt seine Mitwirkung absagen musste. So kam es, dass Otto Bubeníček die Hamburger Premiere und die folgende Vorstellung tanzte: eine Interpretation, die nichts an dramatischer Überzeugungskraft zu wünschen übrig ließ (so dass man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass sie durch einen anderen Tänzer übertroffen werden könnte).

Mit zweijähriger Verspätung hat Bolle nun sein Debüt als Neumeiers Orpheus beim Gastspiel des Hamburg Balletts in Baden-Baden nachgeholt, und die Erwartungen waren entsprechend hoch. Zumal er in den Vorankündigungen als „die Callas des Tanzes“ gefeiert worden war – ein unsinniger Vergleich, denn wenn schon ein Tänzer sich mit der Callas als charismatischer Darsteller vergleichen konnte, war es – von allen, die mir in den siebzig Jahren meiner Theatererfahrung begegnet sind, einzig und allein Rudolf Nurejew (und nicht einmal Baryschnikow – und auch nicht Erik Bruhn). Und mit dem hat Roberto Bolle, der gewiss ein vorzüglicher Tänzer und ein ausnehmend gutaussehender Mann ist, nichts, aber auch gar nichts gemein. Was er für diese Rolle mitbringt, ist seine Latino-Mediterraneität. Er ist die Inkarnation des smarten Latin Lovers – und daher ein idealer Prinzentänzer von James bis Solor – aber es fehlt ihm jegliche animalische Ausstrahlung, geschweige denn jegliche Dämonie. Er könnte niemals den Sklaven in „Scheherazade“ tanzen – und auch nicht den „Petruschka“. Er ist nicht die Callas, sondern eher der Mastroianni des Balletts.

Und er ist ganz gewiss nicht der Orpheus, der unser Zeitgenosse ist – der müsste schon eher ein Typ wie James Dean oder Bob Marley sein (könnte es sogar auch zu dem bacchantischen Finale der Strawinskyschen „Orpheus“-Musik). Und daran krankt auch Neumeiers „Orpheus“-Ballett, das sich so krampfhaft bemüht, den Mythos in unsere Gegenwart zu holen – und dabei die beiden Strawinsky-Übernahmen (von „Apollon musagète“ und „Orpheus“) so empfindlich beschädigt – nicht durch ihre absolut stimmige Ergänzung durch die sogenannten „Rosenkranz-Sonaten“ von Biber, sondern durch ihre Kontrastierung mit der prätentiösen Aktualisierung des elektronischen Environments von Peter Blegvads und Andy Partridges „Orpheus the Lowdown“, dessen Texte man unmöglich während der Vorstellung versteht, sondern allenfalls hinterher im Programmheft nachlesen kann.

Und das ist schade. Einmal weil die Wiedergabe der beiden Strawinsky-Partituren durch die Württembergische Philharmonie Reutlingen unter dem Dirigenten Paul Fitzsimon und mit dem Violinsolisten Daniel Garlitsky einen Qualitätsstandard hatte, wie er auch in rein konzertanten Aufführungen eher die Ausnahme ist. Und zum andern weil das Hamburger Ballett mit seinen Solisten (Edvin Revazov, Anna Laudere, Kiran West und der hinschmelzend zarten Hélène Bouchet als Eurydike) sich auch an diesem Abend wieder als ein Ensemble der internationalen Elite-Liga erwies.

 

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