„15 Years Alive“
Gauthier Dance mit einer grandiosen Jubiläumsgala im Theaterhaus Stuttgart
In seinem kleinen Einmaleins der Ballettprogramme ist Eric Gauthier bei „Lucky Seven“ angekommen – unter diesem Titel versammelt die kleine Tanzkompanie im Stuttgarter Theaterhaus sieben pointenreiche, überraschende, teils skurrile Miniaturen, Wertvolles und Leichtgewichtiges, Witziges und Melancholisches, Neues und Altes. Beehrt wurde Gauthier Dance durch die Anwesenheit fast aller Choreografen, was aus dem Premierenabend eine Art Gipfeltreffen der europäischen Tanzschöpfer-Elite machte.
Neues gab’s natürlich vom Tanzchef selbst. Mit gewagten Hebungen und einer originellen Schlusspointe zeigt Gauthiers Uraufführung „Punk Love“ die Angst des coolen Typen vor dem Tätowieren: Armando Braswell ringt mit dem Tattoo, das er sich gleich stechen lassen will, verkörpert von der mysteriös durch seine Arme gleitenden Garazi Perez Oloriz in einem raffinierten Trikot. Getanzt wird zu einer fetzigen Musik von Stephan M. Boehme, deren penetrante Maschinen-Surrgeräusche bei empfindlichen Zuschauern durchaus Zahnweh verursachen könnten. Seinem kleinen Sohn widmet Gauthier das Solo „Carlito“, choreografiert von ihm selbst und der Stuttgarter Flamenco-Spezialistin Catarina Mora. Das etwas zu lang geratene Stück hatte nicht ganz den erwünschten Effekt, blieben sich doch der stolze Flamenco und das Thema Kinderliebe grundsätzlich wesensfremd (manchmal sah es aus, als wolle der Solist sich ein Kind stampfen). Obendrein war bei aller Rasanz, aller erhabenen Haltung des Interpreten im Theaterhaus einfach schon the real thing zu Gast, sprich: bessere Flamenco-Tänzer.
Eine Uraufführung im Stil seiner mediterranen, erdverbundenen Werke steuerte Mauro Bigonzetti bei: Sein „Pietra Viva“ ist laut Programmheft „jeglichem Süden auf der Welt“ gewidmet und wird zu einer leicht melancholischen Akkordeon-Folklore getanzt. Das sinnliche und doch seltsam müde Duo aus Kampf, Spiel und Resignation schmerzt manchmal fast körperlich, wenn sich das Paar gegenseitig an den Ohrläppchen hochzieht oder sie minutenlang auf seiner Brust steht. Geradezu akrobatisch turnen die charakterstarken Interpreten Anna Süheyla Harms und William Moragas aufeinander herum, kleben quasi gegen ihren Willen seelisch aneinander.
Der Spanier Alejandro Cerrudo tanzte einst im Stuttgarter Ballett und schuf sein erstes Stück vor ziemlich genau zehn Jahren beim Noverre-Abend 2001. Dann ging er zum NDT 2 und ist heute Haus-Choregraf bei Hubbard Street Dance in Chicago, wo auch sein lebhaftes, sommerleichtes „Lickety-Split“ 2006 Premiere hatte. Choreografisch mag das Sextett zu Folk-Musik von Devendra Banhart kaum einen Preis gewinnen, wirkt vielleicht sogar ein wenig substanzlos, aber es passt mit seiner ansteckenden Lockerheit und den kleinen Pointen perfekt zu Gauthiers Kompanie, tanzt gelöst und frei, zärtlich, frisch und spontan dahin. Auch darin liegt eine große Kunst: so hingetupft, derart wenig gesucht und künstlich zu wirken.
Eine Kunst, die beim Nederlands Dans Theater in Perfektion beherrscht wird – von dort hat Eric Gauthier drei Stücke importiert, für alle Altersklassen sozusagen. Getanzter Dadaismus ist das kurze Duo „Shutters Shut“ der aktuellen NDT-Hauschoreografen Paul Lightfoot und Sol León, es war bereits im Februar beim großen Jubiläum des Stuttgarter Balletts zu Gast. Im Theaterhaus ergehen sich nun Armando Braswell und Rosario Guerra als weiß getünchte Schreckgestalten auf engstem Raum, schlängeln und winden sich auf den stockenden, in Wiederholungen kreiselnden Text von Gertrude Stein an der Rampe dahin, hängen mit Grimassen und virtuosem Körperspiel wie ein kaputte Schallplatte fest: eine brillante Miniatur. Hans van Manens „The Old Man and Me“ entstand 1996 für Sabine Kupferberg und Gérard Lemaître, zwei Ikonen des NDT III. Liebevoll und versponnen neckt sich ein ehrwürdiges Paar, lässt sich pantomimisch die Luft raus und pumpt sich gegenseitig wieder auf. Das Stück wird hier zum ersten Mal von jüngeren Tänzern interpretiert, aber so elegant Isabelle Pollet-Villard auch das Hinterteil vor ihrem Liebsten schwenkt, so nonchalant Eric Gauthier auch darauf eingeht und als Generalissimo einherschreitet: es fehlt beiden die Tiefgründigkeit des Alters. Die bittersüße Ironie des Duos liegt darin, dass hier zwei weise, abgeklärte Tänzer wie die Kinder spielen und in zärtlich-skurriler Verschwiegenheit ihre Sehnsucht nach der Jugend teilen.
Ins Surreale spielt Jiří Kyliáns Rokoko-Satire „Sechs Tänze“, das älteste Stück des Abends aus dem Jahr 1986 zu Mozarts „Deutschen Tänzen“. In „Mozart-Unterwäsche“, wie es der Choreograf einmal genannt hat, jagen sich vier Paare, dass ihnen der Puder nur so aus ihren weißen Perücken stäubt. Sie necken einander, sausen auf prachtvollen Kleiderständern herum und lassen grüne Äpfel von Degenklingen fliegen. Und über allem schwebt ein Grollen und Donnern wie von der kommenden Revolution… Wer die niederländischen Stücke für ihren subtilen, hintergründigen Humor liebt, mag ein wenig enttäuscht nach Hause gehen, denn wie so oft bei Gauthier Dance wird eine Nuance zu vordergründig und lustig getanzt, wo es im Original zweideutig oder gar unheimlich zugeht. Dennoch ist „Lucky Seven“ ein rasanter, abwechslungsreicher Abend voll großartiger Choreografien und skurriler Überraschungen. Man wird sich wieder einmal um Karten schlagen müssen.
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