Starkes Theater aus Konzentration und Stille

„Magic Valley“ von Maya Lipsker zur Eröffnung der Saison im Leipziger Lofft

Leipzig, 27/08/2011

Wüssten wir nicht vom Titel her, dass die Szene ein magisches Tal ist, so blieben wir bei dem Eindruck, die beiden kauernden Wesen am Boden befinden sich in eisiger Höhenlage. Rechts von ihnen, am Laptop, ein bärtiger Mann in fester, schwarzer Sturmkleidung mit blitzend goldenem Ehering, auch eher ein höhentauglicher Einsiedler, Extrembergsteiger oder Polarforscher. Aber das Stück heißt eben „Magic Valley“, und warum soll es nicht so sein, dass man ganz oben angekommen und doch ganz tief unten ist.

Das neue Stück von Maya Lipsker spielt nach eigener Aussage auf der zerstörten Erde. Trügerische Ruhe schwebt in sanften elektronischen Sounds darüber wie einst der Geist über den Wassern. Die beiden Wesen, deren Gesichter ihre Haare verbergen, scheinen sich nicht zu bewegen, erst bei genauerem Hinsehen nehmen wir minimale Veränderungen ihrer Haltungen wahr. Jetzt könnte man abschalten. Das hat man oft genug gesehen im zeitgenössischen Tanztheater. Aber hat man es wirklich so gesehen, wie hier die Choreografin selbst und die Tänzerin Sandra Lolax uns in ihren Bann ziehen. Je mehr die Frage nach dem Warum und Woher in den Hintergrund tritt, desto stärker ergreift uns die Konzentration der beiden Wesen, die ganz langsam zueinander finden. Eine seltsame Nähe entsteht, sie sind beieinander, bewegen sich miteinander und wieder voneinander weg. Manchmal schnellen die Arme hoch, die Hände zittern blitzartig und es ist als hörte man einen leisen Aufschrei.

Manchmal sehe ich mit halb geschlossenen Augen auf die Szene, die zu einem Bild unendlich weiter Einsamkeit verschwimmt, und das Ohr sieht mit, der Sound von Roy Carroll malt mit an diesem Schwebezustand verführerisch schöner Endzeitstimmung. Das Licht wechselt, heller, andere Töne, eine Gitarre. Die beiden Wesen haben Gesichter, es sind Frauen, sie haben sich erhoben und sind sehr nahe beieinander, sie berühren sich und im Schattenbild verschmelzen sie zu einem geheimnisvollen Wesen.

In den Sound mischt sich das herannahende Geräusch eines Helikopters. Doch ein Gipfeldrama? Dazu würde auch die folgende Pantomime passen, die das verzweifelte Handeln von Kannibalinnen assoziiert und sich steigert in bizarre Szenen aus Wahn und Zwang. Wieder eine Brechung. Doch nicht mörderisch? Die zugespielte Musik könnte aus einem Roadmovie sein, der Sound zum letzten Traum vor dem Verlöschen. Der Rest ist zittern, die Frauen sind wieder Wesen, sie robben wie Nixen an Land und verenden.

Und der Mann mit dem Bart, der für die Musik sorgte, am Licht gedreht hat und eine dunkle, zähe Flüssigkeit im Lausprecher zum blubbern brachte? Der sitzt jetzt da wie der zu alt gewordene liebe Gott. Zottelige Lumpen kann er den Wesen noch geben, dann werden sie wieder zu Lehm. Manchmal lenken ja die Fragen, die bei so assoziativem Bilder-Tanz-Theater aufkommen ab und machen nervös. Hier passiert das Gegenteil. Die beiden Tänzerinnen sind so hochkonzentriert, haben vielleicht sogar eine ganz andere Geschichte ihrer Arbeit zugrunde gelegt, aber sie haben eine, das spüre ich, das macht ihre Rätsel so wahrhaftig. Die Kraft der Körperkommunikation der Protagonistinnen ist so stark, dass ich einbezogen werde, ohne Zwang, ohne Zeigefinger, ohne Aktion. Das Theater im Kopf, der Tanz im Puls nimmt mich mit auf die eisige Höhe und in die Tiefe des magischen Tals. Allein bin ich nicht.

Maya Lipsker, Sandra Lolax, Roy Caroll und Sarah Marguier, die Szene und Kostüme entworfen hat, sind auf jeden Fall dabei.

Weitere Vorstellungen, 27., 28.8.; 1.- 4.9.
www.lofft.de

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