Alma Toaspern und Mathias Monrad Møller in „Liebe“ nach Annie Ernaux' „Se perdre“

Leere des Herzens

Die getanzte und gesungene Poesie der „Liebe“ von toaspern | moeller

„Liebe“ vom Duo toaspern | moeller verschmilzt Tanz und Gesang zu einer poetischen Reise, basierend auf Texten der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux.

Leipzig, 10/07/2024

„Liebe“. Der Titel ist schon einmal viel- und nichtssagend gleichermaßen. Allerdings weckt er doch gleich einen ganzen Stoß an Assoziationen und Erinnerungen, die individueller nicht sein könnten. Die Tänzerin Alma Toaspern und der Musiker Mathias Monrad Møller nähern sich diesem Universum über einen Text von Annie Ernaux. Wobei das nur die halbe Wahrheit ist, denn im Lauf des Abend gibt es zwar kurze Zitate und Setenzen aus ihren Tagebuchroman „Se perdre“ über ihre Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann, doch nutzt toaspern | moeller das Werk vor allem als Steinbruch, um hier und da einen gelungen Satz herauszubrechen. Dieser wird dann auf französisch gesprochen und gleichzeitig (oder auch versetzt) sehr gelungen auf der mit Teppichauslegeware abgehängten Bühne projiziert. Die Premiere fand im Lofft in Leipzig statt, das zusammen mit dem Theater Basel koproduziert hat.

Die ersten Töne aber sind denn auch keine Worte sondern ein merkwürdiges Gurren, das an Tauben erinnert, während die beiden Protagonist*innen sich mit nacktem Oberköper in einem orangenen Gegenlicht auf einer seltsamen Minibühne in langsamen Bewegungen absolut synchron um sich selber drehen. Ein wunderbare aber auch sonderbare Intimität, die ganz ohne Berührungen auskommt. Zu Beginn ist nicht einmal klar, ob sie sich gegenseitig meinen oder frei flottierend auf ganz andere abwesende Liebespartner Bezug nehmen. Bald sprechen und singen sie die Texte auf französisch und augenblicklich vergisst man, dass ja Toaspern eigentlich die Tänzerin und Møller eigentlich der Musiker ist, denn sowohl in den ganz genau gesetzten Bewegungen als auch in den wunderschönen bisweilen an sakrale Chöre erinnernden Gesängen, dargeboten a palo seco, also ohne Unterstützung durch Instrumente, lässt sich kein Niveauunterschied ausmachen.

Textbrocken mischen Tanz und Gesang auf

Verzaubernd und verzaubert erschaffen sie einen langsamen Sog, in dem sie die Textbrocken nutzen wie sich ein Schwimmer vom Becken abstößt, oderwie behutsame Ruderschläge, um ein Boot Stoß für Stoß auf einen anderen Kurs zu bringen. Doch in Wirklichkeit ist alles ein langsam wirkender Strudel, der nur darauf hinausläuft, beide in Kamasutra Pose zusammenzubringen. Da sind sie freilich wieder angezogen, und wenn Toaspern schließlich Slip und BH über den zuvor angelegten grauen Mantel legt, hat das durchaus komische Anmutungen. Gleichzeitig lebt dieser Abend nicht nur vom romantischen Liebesrausch, sondern vielmehr den innerlichen Abgründen, den Zweifeln und den Zumutungen, die gerade den Beginn der Liebesbeziehungen ausmachen. Später wird alles klarer und die merkwürdigen Holzkonstruktionen entpuppen sich beim richtigen Licht als Marmorkonstrukte. Lichtdesigner Martin Mulik fährt hier wahrlich so einiges auf und setzt mit äußerst viel Raffinesse ganz besondere Lichtstimmungen auf die Bühne.

Das Ergebnis ist ein Abend als lyrisch-poetisches Gesamtkunstwerk, dessen Fließen unmerklich zu einem reißenden Strom wird mit einem jähen Wasserfall, in dem sich ein Chanson entlädt. Immer wieder gibt es überraschende Assoziationsbilder, wenn Toaspern in Kreuzigungspose einen Text spricht, wie sie das Geschlecht anbetet oder eine von Ernauxs Sentenzen über die Liebe, die aus der eigenen Leere kommt, wie ein Meteor über dem Bühnentreiben verglüht. Denn natürlich hat dieses Verlieren in der Leere keinen Bestand, doch auf der Bühne steht nicht das Ende, sondern der Übergang in die Normalität, wenn Møller gegen Ende die verstreute Wäsche einsammelt, während Toaspern zum Gesang ansetzt. Denn auch das macht diese Performance aus, dass jede Kitschgefahr vor allem durch kleine humoristische Details gekontert wird. Alles geht sinnlich unter die Haut, aber ohne jemals peinlich zu werden. Ein Abend, in dem sich sicher jede*r wiederfindet, der wenigstens einmal wirklich geliebt hat.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern