Körper fliegen übereinander
Overhead Project bei den Regensburger Tanztagen
Am Samstag ging die „Tanzoffensive“. Um ein Resümee gleich an dieser Stelle zu formulieren: Dem Festival kann man bezüglich Publikumszuspruch und künstlerischer Qualität nichts anderes als das Erfolgsetikett an die Brust heften. Was auch daran festzumachen ist, dass sich selbst schwächere Aufführungen immer noch auf einem Level bewegten, ob dem zu Nörgeln etwas kleinlich scheinen mag, was auch für „Blind Date“ galt. Diese Show lässt sich in ihrer Intention mit der etwas ketzerischen Frage umschreiben: Wollen wir die totale Improvisation – absprachefrei ins Planschbecken des Formlosen, um dort zu schwimmen, wie jeder es auf seine Art gelernt hat?
In „Blind Date“ jedenfalls trifft Stepptänzer Sebastian Weber, ohne vorher die geringste Information erhalten zu haben, um wen es sich dabei handeln wird, auf der Bühne mit zwei Künstlern zusammen. Um dort fortan – naja, muss man so sagen – mal zu schauen, was passiert und was sich entwickelt an szenischer Struktur im Modus der Improvisation. Die Tänzerin Alma Toaspern und der Percussionist Peter A. Bauer sind die Überraschungsgäste. Und nachdem man eine ganze Weile geschaut hat, was passiert, passiert dann tatsächlich auch was: Eine Ménage à trois im Nonsens-Appeal putziger Klang-Bewegungs-Miniaturen. Da formieren sich immer wieder kleine, skurrile Szenen. Doch die Spontanität amüsant verdichteten Miteinander-Spiels treibt zu oft und auch zu lang im Suchen nach dem Impuls, der diesen Strudel hervorbringt, auf dem man dann gemeinsam rotieren kann. Das klappt zu selten und zeigt, was auch freie Improvisation letztlich braucht: Ein Minimum regelnder Formen – und seien diese zeitlicher Natur.
Mit „Carnival of the Body“ setzen die Artisten und Tänzer Tim Behren und Florian Patschovsky vom Kölner Overhead Project den Schlusspunkt hinter diese Tanzoffensive, und zwar in Form eines markanten Ausrufezeichens. Gewidmet wird sich dem Männerkörperkult des Wrestlings, also jener Hybridform aus Kampf und Show, die bei Overhead Project zielstrebig in die nicht nur akrobatisch schwindligen Höhen eines obskuren Synkretismus expandieren. Es ist die konzentrierte Zelebration eines Machismo-Voodoo mit dem männlichen Körper als Fetisch bizarrer Rituale, was „Carnival of the Body“ zeigt – und das rabiat und brachial und mitunter gespenstischem Humor.
Mit exzellent choreografierten Kampfszenen zu Beginn, einem sich im Lachanfall wie selbst verschlingenden und wieder ausspuckenden Körper im Mittelteil, und einschlägigen Wrestling-Figurationen als seltsam zartes, liebkosendes Umfassen in Slow Motion zum Schluss. Ein faszinierender und auch irritierender Exkurs. Nicht über Gewalt und Zärtlichkeit, sondern über die Gewalt als Refugium der Zärtlichkeit. Über die Einsamkeit des männlichen Narzissmus und die Posen und Rituale mit denen dieser sich maskiert. Und ein Stück, in dem noch einmal großartig jener Vitalitätsimpuls des Staunen-Machens wirkt, den die Organisatoren dieser Tanzoffensive zu deren Beginn in Aussicht stellten. Ein Versprechen, das in diesem Festival mehr als nur einmal gehalten wurde.
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