Begegnung der eigenen Art
Im Hebbel am Ufer beherrscht der HipHop souverän die Theaterbühne
Wie sehr sich das Lebensgefühl der jungen Generation gleicht, wo immer auf diesem Planeten sie lebt, bewies ein Gastspiel im Hebbel am Ufer. Gemeinsam mit neun HipHop-Tänzern aus Vietnam hatten Raphael Hillebrand und Sébastien Ramirez, beide selbst Breakdancer von Rang, den Bilderbogen „Nhiều mặt“ („Gesichter“) einstudiert. Dass jenes Land am Mekong gerade erfolgreich dabei ist, die Wunden zu heilen, die der US-amerikanische Aggressionskrieg hinterließ, und sich der Welt öffnet, berührt wohl jeden. Dass Vietnam dennoch nicht seine Tradition vergisst, zeigt auch der vergleichsweise kleine Auftritt in Berlin. Links und rechts der Szene stehen traditionelle Instrumente, die einen Großteil der Szenen begleiten: Percussion und Trommeln auf der einen, ein 16-saitiges und ein einsaitiges Instrument auf der anderen Seite. Auch das Spektakel auf der Bühne beginnt mit einer Reminiszenz. Hinter den neun hängenden Masken von Geisterwesen verbergen die Tänzer ihr Gesicht, bis sie sich befreien und ins Heute eintauchen. Da schon ahnt man, dass hier amerikanisches Kulturgut nicht nur kolportiert wird. Um Selbstfindung geht es etwa, wenn eine Maske weiterwandert, unter der sich versteckt, wer gerade tanzt, wohl auch um ein Zitat des traditionellen Ahnenkults. Ein Aufschrei besiegt die Geister, der Weg in die Gegenwart steht offen.
Die läuft in Vietnam so wie überall unter Teenagern. Einer soll sein Handy ausleihen, will aber nicht, was Anlass zu lässigem Tanz gibt. Das einzige Mädchen der Crew wird nicht akzeptiert und schwört Rache: In Pumps und ganz Dame entbrennt Rivalität um sie; nicht der mit den meisten Muskeln, sondern der beste Tänzer gewinnt sie. Traurig singt ein Verlierer schluchzenden Vietnam-Pop. Ein Alter am Stock erinnert sich an seine Jugend und legt los; ein anderer erzeugt ins Mikro Beatboxing-Laute, zu denen ein Junge knirschend seinen „Roboter“ bewegt. Am Ende formieren sich all die Charaktere zum Gruppenfinale, bestechen nochmals mit stupendem Können. Dass sie dabei typische HipHop-Stilistiken wie B-boying, Popping und Locking mit Elementen der Folklore, vor allem des Kampfsports mischen, macht die Synthese so einzigartig und vermittelt gleichsam einen Eindruck von der vibrierenden Aufbruchsstimmung in ihrer Heimat.
Einer, dem sich weltweit vieles im HipHop verdankt und der mit seinen 42 Jahren vielleicht an einem Scheideweg angekommen ist, steht im Mittelpunkt des zweiten Teils. „28 Jahre in 28 Minuten“ ist Bilanz und liefert ein sehr persönliches Porträt von Niels Robitzky alias „Storm“. Seinen Spitznamen trägt der Wirbelwind aus Norddeutschland zu Recht. Videos dokumentieren seinen Werdegang, er tanzt live dazu. Fledermaus nannte er sich als Kind, liebte Comics, wollte Hero werden. Als der Vater die Familie verließ, flüchtete Nils in den HipHop; als 1985 die Welle vorbei schien, baute er weiter am eigenen Traum, schloss 1987 die Schule ab, zog im Jahr darauf von daheim fort, fand Gleichgesinnte, denen Ehrlichkeit und Loyalität auch etwas galten. Eine unstete Suche nach dem rechten Platz begann: New York als Enttäuschung, in Paris keine Wohnung, Amsterdam, dann Harlem, bis er in Berlin ein Zuhause fand. Quer durch beinah alle Kieze hat er hier gewohnt, musste Krankheiten überwinden, Hepatitis, Tbc, Bandscheibenvorfälle. Weshalb er nicht aufhört? Weil es für ihn nichts Motivierenderes gibt als den Spaß, den er als Lehrer bei seinen Schülern sieht. Den bescherten ihm, dem Weltbürger des HipHop, und ebenso den Zuschauern, die jungen Vietnamesen in einem begeisternden Battle als Kehraus.
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