Hans van Manen: 80 Jahre jung

Die Jubiläumsgala für den Choreografen in Baden-Baden

Baden-Baden, 09/07/2012

Party mit Tschaikowsky, nicht etwa Walzer oder Ballettmusik, nein es ist der dritte Satz aus der sechsten Sinfonie, h-Moll, „Pathetique“, gewiss tänzerisch, dennoch ungewohnt als „Tanzmusik“. Wenn aber ein Choreograf wie Hans von Manen zu dieser Musik seine stilvolle Partygesellschaft tanzen lässt, dann darf man mit Humor und Augenzwinkern rechnen. Die Rechnung geht auf. Die Damen in eleganten Kleidern und Absatzschuhen, die Herren in schwarz und baubetont, besonders rückseitig gesehen. „Black Cake“ entstand 1989 zum 30jährigen Jubiläum des Nederlands Dans Theater. Jetzt wird mit diesem herzhaften Tortenstück die Gala zum 80. Geburtstag des niederländischen Choreografen Hans van Manen eröffnet, getanzt vom Het Nationale Ballet im Festspielhaus Baden-Baden.

So beginnt die Hommage an einen der bedeutendsten Choreografen, dem die Tanzwelt inzwischen weit mehr als 100 Kreationen verdankt, der von sich selbst sagt, dass er keine Experimente mache, sondern Ballette, dessen strenges Formbewusstsein seiner abstrakten Arbeiten mit den architektonischen Prinzipien der Sachlichkeit, insbesondere der Bauhaustraditionen vergleichbar ist. Dabei verzichtet van Manen ganz und gar nicht auf die Sinnlichkeit bewegter Körper. Form und Eros bestimmen seine Ästhetik, daher wird er auch schon mal „Der Mondrian des Balletts“ genannt.

So verschieden die vielen Arbeiten sein mögen, auffällig sind die starken Frauen in seinen Choreografien, die kraftvollen Männer, die Betonung der Eigenheiten und die daraus entstehenden Konkurrenzen und Kämpfe, die zarten Momente der Gemeinsamkeit unter Wahrung eigener Identitäten. Selten hat es ein Choreograf vermocht, den Ansprüchen der Emanzipation beider Geschlechter dermaßen gerecht zu werden. Und ohne Humor, ohne Ironie, ohne herzhaftes Augenzwinkern geht es dabei ganz und gar nicht. Die Frauen werden bei Hans van Manen nicht in kraftstrotzenden Hebeorgien zur aufgebahrten Manövriermasse der Männer und diese nicht zu stützenden Hilfsarbeitern oder springenden Zirkusattraktionen.

Die vielen Facetten seiner Tanzkunst spiegeln sich in der klugen Auswahl des Programms der Jubiläumsgala mit neun choreografischen Arbeiten aus mehr als 40 Jahren. Selbstverständlich dabei, „Große Fuge“ zu Beethovens Streichquartett B-Dur, op. 133, aus dem Jahre 1971, „Solo“ zu Bachs Partita für Violine solo h-Moll, BWV 1002, oder als Uraufführung „Variations for two couples“ zu verschiedenen Musiken und Bearbeitungen für das Het Nationale Ballet.

„Große Fuge“ dürfte nicht nur eine der bedeutendsten Choreografien van Manens sein, es dürfte sich hier um eines der Schlüsselwerke im Ballett des 20. Jahrhunderts handeln. Es ist vielleicht das Tanzstück von Männern und Frauen und Frauen und Männern, von dem was sie trennt und dem, was sie zueinander führt und doch im Moment verletzender Grenzüberschreitung die Tragik der Einsamkeit zu zweit gebiert. Die Bilder, die Bewegungen, von scheinbarer Einfachheit, ob ihrer bezwingenden Klarheit von genialer Zeitlosigkeit. Zunächst die Gruppen, körperbetont die Frauen in Trikots, die Männer in langen, schwarzen Röcken bei kraftvollen Gebärden, verstärkt durch die Vehemenz der Gruppe. Es kommt zur Begegnung, Paare im Mit- und Gegeneinander, Röcke runter, gelöste Momente von paradiesischer Heiterkeit und himmlischer Gleichheit, und gleich darauf geballte Fäuste, Machtspiele, zurück in den Schutz der Gruppen und kraftvoll erschütternde Szenen, wenn die Frauen, festgekrallt in den martialischen Gurten der Männer, sich mitschleifen lassen um doch am Ende völlig gleichberechtigt aufzustehen. Am Horizont der ohnehin schon hell ausgeleuchteten Bühne ein schmaler Streifen außerirdischer und visionärer Helligkeit.

Ganz anders „Solo“, dieser Rausch der Geschwindigkeit, nur durchzuhalten mit einem Trick, drei Tänzer, immer einander ablösend, in einem Fluss zur tänzerisch eilenden Musik. Und doch ist jeder der phänomenalen Solisten Rink Sliphorst, Edo Wijnen und Mathieu Gremillet ganz anders, individuell im Lustrausch der Geschwindigkeit. Ein Meisterwerk der blitzflinken Schritte, der so geschwind geführten Arme, der Menschen, die für Augenblicke über sich hinaus fliegen können.

Und dann, in Hans van Manens neuestem Stück, uraufgeführt am 12. Februar, zum 50jährigen Jubiläum des Het Nationale Ballet, zwei Paare, Gegensätze, sanfte Linienführungen zum Einen, harte Kunstfertigkeit und kraftvolle Körperlichkeit zum Anderen. Sicher, hier mag man die Grundmotive des Künstlers erkennen, seine Beharrlichkeit im Ausloten der Phänomene dessen, was uns zueinander treibt und uns zugleich abstößt, in Katastrophen oder in die Glücksmomente kreativer Einsamkeit führt. Mit solchen Glücksmomenten schönster Melancholie der Einsamkeit geht der Abend zu Ende. Noch ein Stück von der schwarzen Torte, die schon zu Beginn serviert wurde. Jetzt gibt es Sekt zum Tanz, die schönen Frauen und die wohlgestalteten Männer vom Beginn erscheinen noch einmal. Dazu schmachtet die Solovioline in der Méditation aus der Oper „Thais“ von Jules Massenet. Die Frauen nicht mehr ganz sicher auf den hohen Absätzen, und doch so elegant im leichten Schlingern, die Herren ebenso. Doch sonderbar, der Rausch aus wundersamer Müdigkeit und sanftem Glücksempfinden durchzieht diese Abschiedsszene verzauberter Menschen, die ganz sicher zu den empfindsamsten und schönsten auf den Tanzbühnen gehören dürfte, und die eben wohl keinem andern so gelingen konnte wie dem gefeierten Jubilar Hans van Manen.

 

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