Eine Woche voller Überraschungen
Pick bloggt über einen historischen Ball in Bad Ems, „Hidden Tracks – Trammpelpfade des Glücks“ in der Brotfabrik Bonn und den Ballettabend „Duato | Kylián | Naharin“ beim Staatsballett Berlin.
Stilistische Internationalisierung
Allen Unkenrufen zum Trotz: Dem Staatsballett ist mit seiner neuen Produktion ein wichtiger Schritt hin zur stilistischen Internationalisierung des Repertoires gelungen, auch wenn zwei der drei Arbeiten bereits zu den Klassikern zeitgenössischen Theatertanzes rechnen. Als Dreiheit geben sie den Interpreten tänzerische Nüsse zu knacken und fordern auch den Zuschauern teils ungewohnte Sehweisen ab, wie einige Buhs der Premiere zeigten. Namen von Rang vereint der schlicht „Duato Forsythe Goecke“ betitelte Abend, kommt mit kaum 20 Tänzern aus, unter ihnen nahezu alle Solisten.
Von acht überwiegend langsamen Sätzen aus Arcangelo Corellis Concerti grossi op. 6 ließ sich Nacho Duato 2000 zu „Arcangelo“ anregen. Um Liebe, Verzückung, spirituelle Erfahrung, letztlich den Übergang ins Jenseits geht es dem Spanier zum Wohlton des barocken Italieners. Die oberen Drittel der Rückwand bleiben Brandmauer, das untere, aus dem die Tänzer auftreten, in das sie entschwinden, ist schwarz. Vier Paare verlieren sich an eine Abfolge einzelner Pas de deux mit den für Duato typischen skurrilen Hebeposen in körperengem, musikfühligem, fließfähigem Tanz der luziden Durchdringungen, originellen Paarfiguren und Umschlingungen. Mehrmals werden Partner über Lichthügeln im Boden abgelegt, als würden sie dort erleuchtet. Gegen Schluss liegen drei der Paare auf dem Boden, das vierte trennt ein herabgelassener schwarzer Schal, der schützende Hülle wird,an dem sie hängend in ein ungewisses Oben entschweben. Souverän musiziert Duato auf dem Instrument Körper und entlockt ihm eine ungewöhnliche, eher transzendente Emotionalität. Die Paare Nakamura/Kaniskin, Cabrera/Ghalumyan, Semionova/Banzhaf sowie Mestrovic/Jakovina folgen ihm dabei willig und gediegen.
Im schwarzen Raum vor mannshoch hellem Streif siedelt William Forsythe sein „Herman Schmerman“ von 1992 an. Drei Frauen, zwei Männer bevölkern ihn im schwarzen Maillot respektive Ganztrikot und zelebrieren fabulös die klassische Schulsprache, überdehnen sie in Pose und Beinhöhe, zeigen sich meist frontal, als würden sie zu Thom Willems‘ elektronischer Musikcollage buchstabieren, was sie täglich trainieren. Gegenschwünge, Wirbelsprünge haben sich eingeschlichen in die sportiven Raster im Raum mit ihren Verzögerungen, bis das Quintett vor der Folie abrupt versinkt, zum Abschied die Köpfe hochstreckt. Dann beginnt, was bereits Galabeitrag geworden ist: ein witzig virtuoser Paarwettbewerb um ausgefallene Eingebungen, trotzig, rotzig, flapsig, dabei so anspruchsvoll. Nadja Saidakova und Arshak Ghalumyan stacheln sich gegenseitig an, rangeln und rivalisieren, agieren wie aus Gummi und greifen zum letzten: Will sie mit gelbem Plisseerock punkten, überrascht er sie im gleichen Outfit und verstrickt sie in ein fulminantes Duett. So lange dreht er sie am Schluss aus, bis Dunkel beide schluckt. Technisch makellos bewältigen sie ihre Parts, könnten sich jedoch zu einem Mehr an zickiger Gestaltung hinreißen lassen.
Mit der größten Tänzermannschaft, vier Frauen und fünf Männern, tritt Marco Goecke an. Kurz war er Tänzer an der Deutschen Oper Berlin, machte Karriere in Stuttgart, ist umworbener Choreograf der jüngeren Generation. Auch er fußt auf dem neoklassischen Tanz, wie ihn Balanchine begründet, Duato erweitert, Forsythe dekonstruiert hat. Goecke geht weiter: Bei ihm schaut Tanz aus, als breche er nur in ruckhaften Kaskaden aus einem zu Stummheit verurteilten Körper hervor. Angst, Einsamkeit scheinen ihn zu lähmen. Verloren steht auf hellem Grund im Dunkel des umgebenden Raums ein hemdloser Mann, bis ihn nervös treibende Musik mit insistierenden Themen in Gestik wie Lesen, Abwehr, Schaukeln ausbrechen lässt. Auch die anderen Gestalten, die sich ihm aus dem Nichts zugesellen, scheinen Automaten, Urwesen, Marionetten, Stummfilmfiguren in den separat geführten Bewegungen der Körperteile. Enorm präzis ist das, schreckt vor dem Stillstand nicht zurück, wie ihn „Guide To Strange Places“, John Addams‘ minimalistische Komposition, nahelegt. Addams‘ musikalischem Reiseführer durch die Provence lauscht Goeckes Uraufführung „And The Sky On That Cloudy Old Day“ eine Reise durchs Land der gebremsten Gliedmaßen ab, lässt Arme flattern, Unterarme wie Propeller düsen, Köpfe sich wenden, Bewegungen minimal ausfallen. Auch wenn sich der Effekt verbraucht, beeindrucken der Erfindungsreichtum des Choreografen und die Leistung der Interpreten, allen voran Vladimir Malakhov, der sich vom Prinzenimage fortreißen lässt und außergewöhnliches Gespür für Goeckes Ambitionen beweist. Umarmt von seinem spiegelbildlichen Double enthebt ihn im Finale Dunkelheit. Auch der Staatskapelle Berlin entlockt Paul Connally im einzigen live begleiteten Beitrag ungewohnte Töne.
Wieder 4., 5., 17.5., 2.6.
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