Verunsicherndes Spiel mit unserer Wahrnehmung

„Mirror and Music“ von Saburo Teshigawara eröffnet das diesjährige Festival Tanz im August

Berlin, 12/08/2012

Von Christine Madden

Manchmal kommen in naturwissenschaftlichen Dokufilmen Bilder aus der dunklen Welt der Tiefsee. Makabre Fische tauchen kurz im verwaisten Lichtstrahl auf, um wieder in der Finsternis zu verschwinden. Außerhalb eines eng beleuchteten Areals schweben gespenstische, phosphoreszierende Lichter. Man vermutet dort, andere Wesen skizzenhaft zu erkennen, gleichzeitig graut es einem davor, sie zu sehen.

Dies ist die Welt von Saburo Teshigawaras Stück „Mirror and Music”, das als bejubelter Auftakt des 24. „Tanz im August“-Festivals 2012 im Haus der Berliner Festspiele präsentiert wurde. Teshigawara kann auch auf eine lange künstlerische Tätigkeit zurückblicken: 1985 gründete er mit Kollegin Kei Miyata die Kompanie Karas (zu Deutsch: Krähe). Der All-round-Künstler – der neben der Choreografie auch das Bühnenbild, Licht- und Kostümdesign selber entwirft – ist seitdem gefragt in der internationalen Szene. Er choreografiert auch Opern und arbeitet im Rahmen von STEP (Saburo Teshigawara Education Project), seiner eigenen Bildungsinitiative, nicht nur mit jungen Tänzern sondern auch mit Sehbehinderten, wobei er neue Erkenntnisse über die Verbindung zwischen Bewegung und Denken gewinnen konnte.

Das Visuelle ist bei dem in Skulptur und klassischem Ballett ausgebildeten Choreografen ausdrucksstarker Bestandteil der künstlerischen Arbeit. Die extremen Beleuchtungsstrategien im Bühnenraum vermitteln den Eindruck, dass Teshigawara auch die Luft in drei Dimensionen mitchoreografiert hat. Anfangs schießen Lichtstrahlen um die Vorderbühne herum wie Blitze, die unter Verfolgungswahn leiden. Geometrisch beleuchtete Felder ordnen die Bühne immer aufs Neue, Tänzer irren im ständig neu strukturierten Raum wie Geister umher, die sich in einer renovierten Wohnung nicht mehr auskennen. Gedämpftes Licht umspielt einen massiven Paravent, dann lässt Teshigawara seinen scharf abgebildeten Schatten darüber flitzen wie rasch gemalte japanische Schriftzeichen. Ein Stroboskop verwandelt ihn anschließend in eine ruckartig rotierende Säule. Die Bühne wird von diffusem sepia Licht gefüllt, während Tänzer, Glieder locker wie bei einer Stoffpuppe, am düsteren Rande der Beleuchtung schlapp auf der Stelle springen. Unheimlich wie Tiefseefische bewegen sie sich mit einer Butoh-inspirierten Langsamkeit vorwärts in die wahrnehmbare Welt. Sie wirken alle bedrohlich, ohne wirklich bedrohlich zu sein, wie schattenhafte Figuren in einem Albtraum.

Auch die Musik bzw. Geräuschkulisse unterstreicht die heftigen Gegensätze, die diesem Stück eine besondere Stärke geben. Ein Brausen wie aus einem Düsentriebwerk wird ohne Vorzeichen durch ein vornehmes Kammerkonzert unterbrochen. In den Abschnitten mit Barockmusik kreisen Tänzer wie in der Luft schwebende Samen über die Bühne. Wenn diese Sanftheit allmählich etwas zu lang andauert, wird die Musik erst fast unmerklich, dann gewaltsam verzerrt. An den flatternden Tänzern ändert sich nichts.

Teshigawara treibt ein neckisches, verunsicherndes Spiel mit unserer Wahrnehmung – und dem daraus resultierenden Gefühl von (un)gesundem Verstand. Die krassen Kontraste, die wirren Bilder, das düstere Licht, indifferent wie auf einem Planeten ohne lebensunterstützende Atmosphäre, umgeben die mal fließenden, mal zuckenden Bewegungen der acht Tänzer. Insbesondere Teshigawara selbst scheint eine andere Welt zu bewohnen, in der er unheimliche Energien und Luftgeister erkennt und sich diesen auch freiwillig aussetzt. Nur manchmal übt sein Bewusstsein Herrschaft über seine körperliche Existenz aus; oft gibt er sich ganz den windenden Bewegungen hin, mit denen ein innewohnender Dämon qualvoll versucht, sich von einer zu engen Menschenhaut zu befreien.

Das Ganze ähnelt der Beklemmung, die eine dämmernde Geisteskrankheit in die noch heilen Reste des Bewusstseins einschleichen lässt. Eine unzuverlässige Welt, die jedoch eindrucksvolle Bilder zaubert. Der englische Ausdruck „smoke and mirrors“ bezeichnet etwas Irreführendes, das die Wahrnehmung betrügt. In „Mirror and Music“ fungieren Lichteffekte als der Spiegel, der zusammen mit verwirrender Musik den Schein der doch nicht verlässlichen Realität als Schall und Rauch zum Auflösen bringt. Teshigawara lässt den Zuschauer in die Tiefsee seines Unterbewusstseins tauchen, wo das Licht der Vernunft nur selten eindringt.
 

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