Verrückt bleiben hilft
Das neue Tanzstück „Wunderland - wie nächtliche Schatten“ in Görlitz ist gelungen
Die Tanzcompany Görlitz feiert Premiere mit „Tanz. Ein Schauspiel.“ & „Schwarz, ohne Zucker“
Gerade ist die Fusion der Theater Görlitz und Zittau vollzogen, was rein praktisch bereits Tatsache war ist festgeschrieben. In Görlitz mit der Neuen Lausitzer Philharmonie sind Musiktheater und Tanz beheimatet, in Zittau, wo das Theater gerade umfassend saniert wurde, das Schauspiel. Alles unter einer Generalintendanz. Von Görlitz aus werden zudem die Bereiche Tanz und Musiktheater in Bautzen abgedeckt. Aber Ruhe ist längst nicht eingekehrt. Schon ziehen dunkle Wolken auf am kulturpoltischen Himmel der Region, beim Zittauer Schauspielensemble soll eingespart werden.
In dieser Situation ist es fast ein kulturpolitisches Wunder, dass gerade jene Sparte, die ansonsten recht schnell zum Opfer von Sparmaßnahmen wird, das Tanztheater, nicht nur erhalten blieb, sondern eine zwar kleine, aber bedeutsame Aufwertung erhielt. Mit Beginn der Saison übernahmen die beiden Tänzer und Choreografen Dan Peleg und Marko E. Weigert die Leitung. Beide haben als Gründer der Berliner wee dance company in zehn Jahren freier Tanzarbeit internationales Ansehen errungen. Beide sind auch in Görlitz weiterhin aktive Tänzer, so dass derzeit 12 Tänzerinnen und Tänzer zur Verfügung stehen, was die Möglichkeiten erweitert aber auch die Zuverlässigkeit. Doppelbesetzungen sind möglich, bei Krankheitsfällen muss keine Vorstellung abgesagt werden.
Nach glücklichem Start für das Team mit der Neufassung ihrer Choreografie „Schmetterlingsdefekt“ feierte am Sonnabend in Görlitz ein weiterer Abend der Tanzkompanie Premiere. „Tanz.Ein Schauspiel“ & „Schwarz, ohne Zucker“. Der Titel klingt für eine Tanzproduktion etwas ungewöhnlich, erschließt sich aber im Verlauf des zweiteiligen Abends als weiterer Versuch, das „Wunder“ des Erhalts der Tanzsparte als Chance nutzen und nicht mit gefälligen Unterhaltungsproduktionen den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, sondern das Publikum zu fordern und so zu fördern.
Das geschieht im ersten Teil etwas zu absichtsvoll. Zu theoretisch geraten die Dialoge der beiden Darsteller Tilla Kratochwil und Stephan Thiel, die nach einer Tanzvorstellung darüber diskutieren, ob Tanz Theater sei oder nicht, ob es der Worte bedarf, ob die Bewegung allein genug, ob sie überhaupt etwas erzählt, ob es um Geschichten oder Assoziationen geht, um Empfinden oder Verstehen. Die Darsteller „schauspielern“ zu sehr. Es fällt schwer ihnen abzunehmen, dass sie ein Anliegen haben. Dass die Choreografen das Bedürfnis haben, auf ihr Publikum zuzugehen und dabei unterschiedliche Wege beschreiten ist verständlich. Eine solche Methode wäre vielleicht besser in einer Matinee mit Werksstattcharakter platziert und die Zuschauer könnten mit diskutieren.
Bei den Tänzern Simone Rabea Döring, Steffi Sembner, Maria Zimmermann und Sebastian Fiedor ist das anders. Sie vermitteln auch ohne Worte einen berührenden Eindruck, wenn das gekonnt sparsam verwendete Bewegungsmaterial der Choreografie sich durch die unterschiedlichen Haltungen der Tänzer verändert. Sie vermitteln beredet genug wie sensibel, zerbrechlich diese Kunst ist, wie wichtig es vor allem ist, dass der Tanz, modern oder nicht, die Persönlichkeit des Tänzers nicht verstellt, dass der Zuschauer etwas sieht, was zwar natürlich, aber nicht alltäglich ist: Ein Mensch ist von etwas so bewegt, dass er sich bewegen muss und sei es unter Aufbietung der Ausschöpfung aller Möglichkeiten seines Körpers, was sogar zu Grenzüberschreitungen führen kann. Unbedingt zu erwähnen sind hier die poetischen Animationsfilme zu Texten von Hans Christian Andersen, Michael Ende und Kai Grehn, von Benjamin Hohnheiser und Judith Holzer nach schwarz-weißen Zeichnungen von Johannes Faulhaber. Gerade Grehns Text über den Weg des Salamanders und die Bedeutung der Steine, welche durch die verzaubernde Eleganz des Lebewesens berührt wurden, sagt viel aus über die Ambivalenz der Tanzkunst.
Natürlich stellen sich im zweiten Teil des Abends „Schwarz, ohne Zucker“, der ja schon im Titel darauf hinweist, dass es hier um den puren Tanz geht, etliche Fragen. Der Worte aber bedarf es bei dermaßen intensivem Geschehen wie in dieser Choreografie erst recht nicht. Kein Wort, nur Tanz und Klang und Licht und Stille, das Atmen der Tänzer, Nora Hageneier, Laura Keil, Virginie Nass, Bill Macqueen, Dan Pelleg, Nico van Harlekin und Marko E. Weigert auf der total leer geräumten Bühne. Ein Ausnahmezustand. Für eine Stunde wird der Alltag unterbrochen, obwohl, oder gerade weil es in diesem Tanz auch um sehr alltägliche Erfahrungen geht. Es ist ein hartes Stück Tanz: „Schwarz, ohne Zucker“.
Da kommt Energie von der Szene. Die Kraft der Gruppe, dennoch jeder für sich. Allein, in Duetten, in unterschiedlichen Varianten bei denen sich Menschen finden oder verfehlen in atmosphärisch dichtem Lichtdesign zwischen Tag und Nacht, Wachen und Träumen. Dazu eine Musikcollage, die Klänge und Wortfetzen mischt, auch Musik geordneter Tänze am Hofe des Sonnenkönigs und der immer wieder, wie ein Hilferuf, der knapp aufklingende erste Ton der Sopranstimme aus Franz Schuberts Lied „Nacht und Träume“.
Am Ende wird das ganze Lied eingespielt. Ein hochemotionaler Ausgenblick. Es kommt aus großer Ferne, aus einer anderen Welt, und hat doch die Sehnsuchtstöne, wie sie die Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Körpern zu singen vermögen. Ganz langsam und zart, dann furios und rücksichtslos, vor allem sich selbst gegenüber. Sie heben einander hoch, sie lassen sich tragen, sie lassen sich fallen, sie erfahren, was es heißt zu stürzen, zu fallen, den Anderen fallen zu lassen und selber fallen gelassen zu werden, ganz weit unten zu sein, am Boden, von der Erdenschwere überwältigt. Nico van Harlekin liefert sich gerade dieser Situation in vollem Maße aus.
Natürlich bleiben Fragen. Vor allem eine, die wir der Romantik und Heinrich Heine verdanken: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin?“. So schwarz ist der Abend. Nicht ein Zuckerkristall will ihn versüßen. Und so hell ist der Abend in der Erinnerung.
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