Man muss die Arbeit lieben
Ein Interview mit Richard Wherlock
Richard Wherlocks Choreografie zu Musik von Henry Purcell
Wo sollen sie hier denn tanzen? So fragt man sich vor Beginn des Balletts. Denn vorn auf der Bühne sitzt auf Augenhöhe das Basler Barockorchester La Cetra, auf alte Musik mit Originalinstrumenten spezialisiert. Die Mitwirkenden tragen weisse Perücken, sitzen vor putzigen grünen Pflanzenbögen. Dahinter eine Parklandschaft mit geometrisch zugestutzen Bäumen und Sträuchern. Da scheint kein Platz zu sein für Richard Wherlocks lebhafte Tänzerinnen und Tänzer.
Doch dann beginnt das Orchester unter Andrea Marcon, zu dem sich auch ein 20-köpfiger Chor der Schola Cantorum Basiliensis gesellt, zu musizieren – und das den ganzen Abend lang ganz wunderbar. Gespielt und gesungen werden Auszüge aus „The Fairy Queen“ von Henry Purcell (1659-95), ergänzt mit anderen Stücken des Komponisten. Gleichzeitig sinkt der Orchesterboden ein Stück weit in die Tiefe. Hinten rücken die Bäume nach links und rechts. Somit ist die Tanzbühne frei, sogar auf zwei Stufen.
Und nun stürzen sie von allen Seiten herein, die Mitglieder der Hofgesellschaft und die vielfältige Elfenwelt unter der Herrschaft von Oberon und seiner Gattin Titania. Ja, es sind Gestalten aus dem „Sommernachtstraum“ von William Shakespeare (1564-1616), die Purcell rund hundert Jahre nach der Entstehung des Schauspiels in seine „Fairy Queen“ (Feenkönigin, 1692) eingebaut hat. Allerdings nicht eins zu eins: Purcells sogenannte Semi-Opera dauerte stundenlang und verknüpfte gesungene, getanzte und gesprochene Szenen miteinander. Eine Spezialform des englischen Barock, in lockerer Form präsentiert.
Ein gefundenes Fressen für Richard Wherlock und seine Crew. Sämtliche Tänzerinnen und Tänzer bekommen ihnen zusagende Auftritte, solo oder in Gruppen. Am häufigsten treffen sie sich zu Pas de Deux, wobei sich Menschen- und Elfenwelt wild vermischen. Auch optisch: Die beiden Gesellschaftgsebenen lassen sich fast nur farblich voneinander unterscheiden. Die Frauen der einen Seite sind schwarz, die der anderen türkis gekleidet, aber auch das nicht durchgehend. Sie tragen sexy Tops und Röckchen, ihre Partner meist lange Hosen mit durchsichtigen Oberteilen. Stilistisch dominiert der klassische Tanz, wobei es allerdings nicht über Halbspitze hinausgeht – Spitzenschuhe wurden schliesslich auch erst im 19. Jahrhundert erfunden. Dazu kommen einige höfische Elemente, Modern Dance und viel, viel fantastisch-athletische Wherlock-Erfindungen.
Wer hier wer ist, wer sich warum mit wem verbandelt, das bleibt in dieser „Fairy Queen“ oft undurchschaubar. Aber Wherlock war nie ein grosser Analytiker, und da halfen ihm offenbar auch seine dramaturgischen Berater nicht viel weiter. Dafür hat der Basler Ballettchef so viel Energie, dass nicht nur die Tanzenden, sondern alle Mitwirkenden davon zehren können.
Im stimmungsmässig ständig sich verändernden Bühnenraum (grossartig gestaltet von Bruce French) mit seinen herum wuselnden Gestalten fehlen die rüpelhaft komischen Handwerker aus dem „Sommernachtstraum“. Wherlock ersetzt sie – und zwar mit Shakespeare und Purcell persönlich. Allerdings sind die beiden keine Ehrfurchtsgestalten, sondern eher Lustspielfiguren: Sergio Bustinduy als vitaler Shakespeare präsentiert sich mehr als angeheitert, während Adrien Boissonnet als vornehm-verklemmter Purcell von Oberon dazu verdammt wird, lächerliche Riesenohren zu kriegen (statt Eselsohren wie Handwerker Zettel bei Shakespeare) und sich mit Titania in Liebesräusche zu stürzen. Besonders komisch wirken indessen jene Szenen, wo Shakespeare und Purcell mit- und gegeneinander tanzen.
In Zentrum des Balletts hat Wherlock ein Dreieck eigener Erfindung gesetzt: Der Streit zwischen Titania (Ayako Nakano) und Oberon (Jorge García Pérez) um den indischen Knaben (Roderick George), bei Shakespeare ein Nebenmotiv, wird hier zum wahren Ehedrama – ja, fast zur Ehetragödie. Elfenkönig und -königin buhlen mit allen Mitteln um die Gunst des Knaben. Doch ihr Ringen endet damit, dass dieser innerlich zerrissen die Welt der Geister verlässt und zu den sterblichen Menschen zurückkehrt. Eine etwas schwülstige, aber tänzerisch höchst ergiebige Konstellation, die in einem großen Pas de Trois Ausdruck findet. Choreograf Wherlock scheint hier für einmal auch die Kunst der Langsamkeit entdeckt zu haben.
Dann geht das Ballett zu Ende. Titania und Oberon sind halbwegs versöhnt, William Shakespeare und Henry Purcell verabschieden sich, die Parklandschaft auf der Bühne wächst wieder zusammen. Großer Applaus für alle, insbesondere auch für die Instrumentalisten, Sängerinnen und Sänger.
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