Man muss die Arbeit lieben

Ein Interview mit Richard Wherlock

Nach einer absolut beeindruckenden Lebensleistung von 40 Jahren künstlerischer Tätigkeit als Tänzer, Choreograf und Ballettdirektor verabschiedet sich Richard Wherlock mit dem Ende der nächsten Saison vom Theater Basel - leise. Gesprochen mit ihm hat Renate Killmann.

Basel , 16/06/2022

Renate Killmann: Herr Wherlock, Sie haben im Jahr 2001 die Nachfolge von Joachim Schlömer als Ballettdirektor am Theater Basel angetreten, davor waren Sie in der selben Position an den Theatern in Hagen, Luzern und an der Komischen Oper in Berlin. Über 30 Jahre lang als Ballettdirektor tätig zu sein, das ist eine sehr lange Zeit. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Richard Wherlock: Zunächst einmal: Meine Güte, wie die Zeit verfliegt! Zum Thema Erfolg: man muss die Arbeit lieben. Und ich habe immer Chancen bekommen, als Tänzer und später dann als Choreograf. Ich habe viele tolle Leute getroffen, die mich in meiner Leidenschaft für den Tanz unterstützt haben, das war auch schon in der Ausbildung so. Irgendwie habe ich immer Glück gehabt. Es ist nicht wirklich ein Rezept, aber meine Überzeugungen sind: die Arbeit lieben, Investieren in Leute, Glauben an die Leute, Respekt haben vor den Menschen. Diversität ist mir wichtig und das Arbeiten mit Positivität; auch über Dinge lachen zu können.

Blicken wir ein wenig zurück: Sie sind Brite und haben Ihre Ausbildung an der renommierten Rambert-School in London erhalten, tanzten zunächst dort im Ballet Rambert und anschließend in Deutschland im Tanzforum Köln von 1981 bis 1991. Was sind Ihre eindrücklichsten Erfahrungen aus dieser Zeit?

Ich war zwei Jahre in der Ausbildung, da hatte ich das Glück für einen verletzten Tänzer der Rambert Company in einer wichtigen Rolle in Glen Tetley’s Adaption von Shakespeares „Der Sturm“ einspringen zu können. That was it! Dann war ich Mitglied der Company. Das Ballet Rambert war eine Repertoire Company und arbeitete mit vielen internationalen Gästen - ich wurde von allen sehr unterstützt. Eines Tages kam mein Mentor, Christopher Bruce und sagte mir: „Es gibt in Köln eine wunderschöne Company, die ganz ähnlich wie Ballet Rambert arbeitet. Ich gastiere selber öfter dort, hast Du Interesse nach Köln zu wechseln?“ Jochen Ulrich, der damalige Direktor, hat mich sofort engagiert.

Das Tanzforum Köln war in den 1970-er und 80-er Jahren eine Company mit überregionaler Strahlkraft, die unter der Leitung von Jochen Ulrich internationale Gastchoreografen einlud und aktuelle Entwicklungen des Tanzes präsentierte, während an den meisten anderen deutschen Theatern fast ausschliesslich traditionelles Ballett gezeigt wurde. Mit welchen Choreografen haben Sie damals zusammen gearbeitet und wie hat Sie das geprägt?

Ich war schon geprägt durch die Repertoirearbeit. Jetzt kam die Zusammenarbeit mit den deutschen Choreografinnen Reinhild Hoffmann, Susanne Linke dazu und natürlich mit Jochen Ulrich. Weiterhin mit Christopher Bruce und viele Stücke von Hans van Manen! Köln war damals eine Company an der Spitze des Modernen Tanzes. Wir haben auch historische Choreografien von José Limon, Anna Sokolow getanzt und der absolute Smash-Bang, das beste Stück, was ich in meinem Leben kennengelernt habe, war: „Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss, ein Stück, das nie alt geworden ist... Ich fing in Köln selber an zu choreografieren und nach vier Jahren bekam ich von Jochen Ulrich einen Vertrag als Hauschoreograf, sehr ungewöhnlich für die damalige Zeit. Ausserdem tourten wir als Company durch Europa, China, das Baltikum, Indien und Südostasien. 

Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit?

Vielseitigkeit beim Training, Vielseitigkeit in den Choreografie-Stilen und die Überzeugung, dass eine Company multitalentiert sein soll.

Wie hat sich Ihr Choreografie-Stil in den 30 Jahren Ihrer Leitungstätigkeit entwickelt?

Mein Stil ist eine große Mischung aus verschiedensten Einflüssen. Ähnlich wie andere Künstler durch ihre blaue, gelbe oder rote Periode gehen, hat sich mein Choreografie-Stil von einer anfänglich athletischen und dynamischen Tanzsprache hin zu mehr Stories und theatralischen Elementen entwickelt. Ich habe immer mehr Handlungsballette choreografiert, dies allerdings auf moderne Art. Nach einiger Zeit  habe ich, um ein gemischtes Repertoire aufzubauen, auch Gastchoreografen eingeladen, denn es ist nie gut nur eine One-Man-Show zu machen. Dieses Konzept habe ich an allen Theatern verfolgt.

Was waren Ihre wichtigsten eigenen Produktionen und Erfolge am Theater Basel?

Ich habe viele Handlungsballette choreografiert: „La fille mal gardée“, „Snow White“, „Eugen Onegin“, „Tod in Venedig“, bin auch durch eine Spitzenschuh-Phase gegangen... Einer meiner größten Erfolge war „Tewje“, ein Ballett mit Klezmermusik und sehr bewegender jüdischer Thematik. Die Kombination von großem Sinfonieorchester im Graben mit acht Klezmermusikern auf der Bühne war sehr mitreissend. Es war immer ausverkauft! Ausserdem hatten wir gefeierte Gastspiele mit „Tewje“ in Budapest und Tel Aviv. - Mein Stil ist immer noch sehr schnell und dynamisch und es gibt kein schöneres Kompliment für mich, als wenn ich höre: “Das ist ein typisches Wherlock-Stück.“ 

Nach all diesen Jahren ist es jetzt einmal Zeit, an mich zu denken. Denn das steht nicht im Vertrag eines Ballettdirektors: Er ist außer Choreograf auch Psychologe, Soziologe, Vater, Mutter, Lover, Freund und manchmal auch Feind... Meine Tür steht immer für alle offen.

Welche Gastchoreograf*innen haben Sie nach Basel eingeladen?

Viele! Gehen wir zunächst die Israelis durch: Hofesh Shechter, Rami Beér, Sharon Eyal, Itzik Galili und Ohad Naharin. Die Schweden: Johan Inger...

Mats Ek?

Seine „Giselle“ war immer mein größter Wunsch, aber meine Anfrage kam zu spät, es hat leider nicht geklappt. Die wärmeren Länder: Mauro Bigonzetti und gerade aktuell Marcos Morau.

Sie haben sehr viele Ballette von Jiří Kylián in Basel präsentiert. Was schätzen Sie so sehr am Stil von Jiří Kylián?

Wir haben das größte Kylián-Repertoire ausserhalb des Nederlands Dans Theaters, insgesamt acht Choreografien! Er kam selber um die Stücke einzustudieren und das war für uns etwas ganz Besonderes, wir haben immer gesagt: „God is coming.“ Ich schätze besonders an ihm seine Musikalität und Ästhetik, und er ist ein feiner Mensch.

Zuletzt haben Sie hier ein Ballett namens „Empty Thrones“ choreografiert, was hat es damit auf sich?

Ich wollte einmal 108 Jahre englischer Geschichte mit insgesamt fünf Königen durch Tanz erzählen, ich bin ein Shakespeare-Fan.

Hat die Thematik des Verlassens des Thrones auch etwas zu tun mit Ihrer heutigen Situation, in der Sie auch Ihren „Thron“,  bzw. Ihre Leitungsposition bald verlassen werden?

Absolutely.

Als letzte Produktion werden Sie für Basel das Stück „Heidi“ choreografieren. Was interessiert Sie an diesem Sujet?

Heidi ist so etwas wie eine catalyst, sie bringt alles zum Guten durch ihre Liebe zum Leben. Ihre Geschichte ist wie die „Heilige Bibel“ hier in der Schweiz. Trotzdem werde ich dieses Ballett modern inszenieren. Es gibt zum Beispiel elektronische Musik, die von zwei Schweizer Musikern, Tino Marthaler und Alain Pauli für das Stück produziert wird.

Kann man die Umsetzung dieses ur-schweizer Themas auch als Gruß und als Dankeschön an die Schweiz interpretieren?

Absolutely.

Was sind die Pläne für Ihre letzte Saison, die Spielzeit 2022/23 am Theater Basel?

Es wird die größte Saison meiner hiesigen Tätigkeit! Wir werden insgesamt acht Ballettabende haben, fünf Premieren und drei große Wiederaufnahmen! Es ist viel Zeitgenössisches dabei, Experimentelles, Herausforderndes und auch Handlungsballette. Es wird ein sehr vielseitiges Programm sein.

Wie werden Sie sich vom Basler Publikum verabschieden?

Ruhig, ganz still.

Sie haben in Basel rund 40 Ballette choreografiert, über 80 Tanzabende zusammen mit Gastchoreograf*innen aus aller Welt auf die Bühne gebracht. Sie haben neben Berühmtheiten wie dem Tennisstar Roger Federer einen Stern auf dem Basler Walk of Fame - bleiben da noch Wünsche offen? Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

Ich gehe ganz happy! Ich habe Vieles erreicht, es ist Zeit für jemanden Anderes in der Leitung. Es ist gut so. - Den Stern neben Roger Federer zu haben, ist etwas ganz Spezielles für mich. Diese Akzeptanz zu erfahren, neben solch einem Weltstar platziert zu sein, freut mich wirklich ungemein. Meine weiteren Pläne sind vor allem zwei größere Projekte: Mein Ballett „Snow White“ für Tokio einzustudieren und als zweites in den USA eine „Tewje“ - Company zu gründen, die mit meinem Ballett durch das ganze Land touren wird. Außerdem werde ich noch in diesem Jahr Präsident des Theaters von Belfort.

Wie sieht der Tanz der Zukunft aus?

Der Tanz hat sich immer in großen Phasen weiter entwickelt. Etwas fällt weg,  Neues kommt hinzu, es ist eine ständige Weiterentwicklung. Ich sage immer: der Job des Ballettdirektors ist ähnlich, wie der eines guten Kochs: er nimmt für ein Menü etwas Süßes, etwas Salziges, etwas Frisches, etwas Fleischiges, etwas Vegetarisches usw. - Vielseitigkeit führt zum Erfolg, auch im Tanz! Und es braucht immer gute Tänzer*innen, die hatte und habe ich. Basel hat eine Top Company!

Viele Theater werden heutzutage nur noch mit Gastspielen bespielt, haben keine eigene Company mehr. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Ich finde es sehr schade für die Entwicklung des Tanzes, aber das liegt in den Händen der Intendanz. Wofür bilden wir professionelle Tänzer*innen aus? Die müssen in einer Company tanzen und auf die Bühne kommen!

Als Brite, erwägen Sie, in Ihre alte Heimat zurückzukehren und was halten Sie vom Brexit?

Brexit finde ich wirklich sehr schade. Noch mehr Grenzen zu machen ist nicht gut. Das Land macht zwei Schritte zurück. Ich liebe meine Heimat, ich liebe London, aber ich bleibe in der Schweiz. Es ist ein guter Standort hier.

Was bedeutet Glück für Sie?

Dass ich morgens aufstehe und mit voller Kraft in den Tag gehe, am Ende des Tages ein schönes Glas Wein trinke und mit meiner Familie zusammen bin. Was mich auch sehr freut ist, dass inzwischen einige meiner ehemaligen Tänzer*innen Ballettdirektor*innen geworden sind.

Das Basler Ballett zählt z.Z. 30 Tänzer*innen, wird die Company in Zukunft in gleicher Stärke bestehen bleiben?

Das war mein Wunsch. Ich fände es sehr schön, wenn etwas von dem bleibt, was ich aufgebaut habe. - Und vielleicht zum Schluss noch: It’s good - to know - when to say Good Bye.

Herr Wherlock, dies ist eine beeindruckende Lebensbilanz! Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre letzte Spielzeit am Theater Basel und für Ihre Zukunft. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!

 

 

Die Erstveröffentlichung dieses Interviews erschien in der Mai-Ausgabe 2022 des Kultur Jokers in Freiburg.

 

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