„Romeo and Juliet“ von Adrienne Canterna

„Romeo and Juliet“ von Adrienne Canterna

Kitsch und Können

Die Bad Boys of Dance mit Adrienne Canternas „Romeo and Juliet“ auf Kampnagel

Kontrastprogramm zu neoklassisch-modern geprägten Fassungen von „Romeo und Julia“ von Adrienne Canterna, die dafür zwei Frauen und acht Männer der „Bad Boys of Dance“ von Rasta Thomas auf die Bühne schickt.

Hamburg, 05/09/2013

Schon zweimal konnten sich Hamburger Tanz-Fans in diesem Jahr mit der tragischen Geschichte des berühmtesten Liebespaares der Welt beschäftigen: die Version des Hamburger Ballettintendanten John Neumeier steht auch in dieser Spielzeit wieder auf dem Programm, und anlässlich der Ballett-Tage war die Interpretation von Jean-Christophe Maillot mit den Ballets de Monte Carlo zu sehen. Jetzt kommt in der Kampnagelfabrik ein Kontrastprogramm zu diesen eher neoklassisch-modern geprägten Fassungen hinzu: diejenige von Adrienne Canterna, die dafür zwei Frauen und acht Männer der „Bad Boys of Dance“ von Rasta Thomas auf die Bühne schickt.

Die klassische Handlung verkürzt Canterna auf insgesamt 24, jeweils nur wenige Minuten währende Szenen und reduziert die Rollen der Erwachsenen auf die von Amme und Pater Lorenzo. Bei der Musik hat sie sich für Ausschnitte aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ entschieden, hin und wieder scheinen auch einige Versatzstücke aus Sergej Prokofjews Romeo-und-Julia-Musik auf, gepaart mit bekannten Hits von Lady Gaga, The Police, Katy Perry und anderen.

Schon beim Betreten des Zuschauerraums wird klar, dass wir hier in einer Pop-Veranstaltung sind: zu Disco-Musik leuchtet blaues Psychedelic-Licht blendend die Zuschauertribüne an. Hunderte von Scheinwerfern wurden eigens für diese Produktion in der K6 installiert – riesiges Steuerungs- und Mischpult für die ausgebuffte Lichtregie inklusive. Vor die Tribüne wurden auf ganzer Breite extra sieben Stuhlreihen geschoben, um das Platzangebot zu erweitern. Die auf ein Podest gestellte Bühne wird dadurch relativ klein, aber für die zehn Tänzer reicht der Platz.

Damit es keine Verwechslungen gibt, stellen sich die verschiedenen Protagonisten zu Beginn einzeln vor, die Namen erscheinen per Video auf dem Hintergrundprospekt. Und dann machen die Bad Boys of Dance ihrem Namen erstmal alle Ehre: zu fetziger Popmusik lassen sie die Sau raus, das ist Streetdance at its best. Und natürlich ist das ganze auch dazu da, das Publikum in Stimmung zu bringen. Das folgt artig, garniert mit spitzen Schreien aus Mädchen- und Frauenkehlen, sobald einer der gut gebauten Tänzer die Hüften kreisen lässt oder das engst anliegende T-Shirt dekorativ über das Sixpack streift. Am besten kann das DJ Smart, der den Mercutio gibt, ein Kraftpaket, das gar nicht weiß, wohin mit all der Energie. Die Muskulatur seines Oberschenkels hat ungefähr den gleichen Umfang wie Julias Taille... Schon hier zeigt sich, wo die große Stärke der Männer-Crew von Rasta Thomas liegt. Wenn sie es krachen lassen dürfen, wie sie wollen und können, sind sie unwiderstehlich. Nur schade, dass ihnen das nicht den ganzen Abend über erlaubt wird.

Canterna baut nämlich zwischen die Street-Szenen immer wieder grauslich kitschige Episoden mit choreografischen Anleihen bei der traditionellen Klassik. Da muss Julia anfangs sogar auf Spitze tanzen (was in diese Szenerie passt wie die Faust aufs Auge); sie muss eine kindische Schwärmerei für ihren Romeo entfalten, gekleidet in ein rosafarbenes (!) Reifrockkleidchen und anschließend in ein weißes kurzberocktes Trikot mit Glitzerbesatz, das aussieht, als hätte man sich mangels Alternative bei Holiday and Ice bedienen müssen. Das Tüpfelchen auf dem i bildet die Video-Projektion im Hintergrund, die einen Hintergrund à la Südstaaten-Prachtbauten (man denkt immer: gleich kommt Rhett Butler mit Scarlett O’Hara um die Ecke) auf die Leinwand legt, Himmelbett inklusive, oder – in der Szene, wo Julia verliebt an Romeo denkt – Herzchen zwischen rotierenden roten Lippenstiften aufsteigen lässt. Ken und Barbie lassen grüßen.

Unerträglich schwülstig auch das Finale, bei dem Romeo – abweichend von der Shakespeare’schen Vorlage – Paris erdolcht, der zuvor heulend neben der leblosen Julia weilte. Blöd nur, dass sich nach der Anstrengung des Ringkampfs die weiße Heldenbrust des Gemeuchelten gut erkennbar bis zum Schluss hebt und senkt, für das Publikum gut sichtbar. Aber das ist ja abgelenkt, weil es nun auf Romeo achten muss, der mit übertrieben leidverzerrter Miene einen Gifttrunk kippt, bevor dann auch Julia sich theatralisch das Messer in den Bauch rammt, als sie des leblosen Romeos ansichtig wird. Nun ja.

Es ist ein Jammer, dass Adrienne Canterna die Gelegenheit nicht nutzt und den klassischen Stoff komplett und radikal ins Milieu der Bronx oder anderer großstädtischer Problemquartiere verlegt, wie das mit der West Side Story so großartig gelungen ist. Da hätten die Jungs von Rasta Thomas und auch die beiden Frauen all ihre Streetdance-Virtuosität entfalten können. Das hätte die Geschichte auch tatsächlich zeitgemäß gemacht. Und welcher Spielort, wenn nicht die Kampnagel-Fabrik bietet das entsprechende Ambiente dafür?

Noch bis zum 22. September täglich außer montags auf Kampnagel
 

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