Alexander Zaitsev in „Die Vier Temperamente“ von George Balanchine

Alexander Zaitsev in „Die Vier Temperamente“ von George Balanchine

Kraftvoller Abschied

Nach 18 Jahren verlässt Alexander Zaitsev, Erster Solist des Stuttgarter Balletts, die Kompanie.

Mit Solorollen in Glen Tetleys „Sacre Du Printemps“, in George Balanchines „Die vier Temperamente“ sowie in Jerome Robbins „Dances at a Gathering“ nimmt der Erste Solist Abschied vom Stuttgarter Ballett.

Stuttgart, 21/06/2013

Alexander Zaitsev war 18 Jahre lang Mitglied des Stuttgarter Balletts. 2006 ernannte ihn Reid Anderson zum Ersten Solisten. Wie kaum ein anderer Tänzer ist der gebürtige Moskauer zum überzeugenden Interpreten der Tanzwerke Glen Tetleys geworden. Heute wird sich Zaitsev von seiner Kompanie verabschieden – unter anderem mit dem kraftraubenden Solopart in Tetleys „Sacre du Printemps“ und in der Rolle des jungen Mannes in Braun „Dances at a Gathering“ von Jerome Robbins. Alexandra Karabelas traf Alexander Zaitsev auf ein Gespräch im Ballettsaal.

Sascha, wie oft haben Sie insgesamt Glen Tetleys Version von „Sacre du Printemps“ aus dem Jahr 1974 getanzt?

Alexander Zaitsev: Vierzig bis fünfzig Mal bestimmt, in Stuttgart, als Gast des Ballet de Santiago de Chile unter der Leitung von Marcia Haydée und vor einigen Jahren auch in Leipzig.

Sie tanzten das Werk auch am 29. Mai, als Ihre Kompanie an die skandalumwitterte Uraufführung vor hundert Jahren in Paris erinnerte. Morgen verabschieden Sie sich damit vom Stuttgarter Ballett. Wie geht es Ihnen damit?

Alexander Zaitsev: Für mich ist jede Vorstellung, in der ich Glen Tetleys „Sacre“ tanze, eine Freude. Seine Version ist für mich eine der besten Interpretationen dieses Stoffes. Strawinskys Musik und das Set sind einfach fantastisch. Außerdem erinnert mich jede Vorstellung von „Sacre“ daran, dass ich mit Glen Tetley zusammenarbeiten durfte. Ich war ihm 1995 zum ersten Mal in Dresden begegnet. Seitdem waren wir in sehr gutem Kontakt. Wir hatten auch einen sehr schönen Briefwechsel miteinander. Darüber hinaus finde ich die hundertjährige Geschichte dieses Tanzwerks schlichtweg sehr berührend.

Glen Tetley hatte Sie für den Solopart in „Sacre“ ausgewählt?

Alexander Zaitsev: Ich weiß nicht mehr, wie das zustande kam. Es hatte sich so entwickelt. Ich hatte zuerst „Voluntaries“ von ihm getanzt, dann „Arena“, danach kam „Sacre“.

Können Sie mir beschreiben, was Sie in Tetleys „Sacre du Printemps“ tun?

Alexander Zaitsev: Dieses Werk fordert meinen ganzen Köper. Die Musik fördert meine Emotionen zutage.

Wann beginnt Ihr inneres Tanzen?

Alexander Zaitsev: Sofort, beim allerersten Lauf im Stück über die Bühne. Die Energien sind sehr speziell.
Angst, Schmerz und Hingabe sind zentrale Themen in „Sacre“.

Was ist Ihre Aufgabe in Glen Tetleys „Sacre“?

Alexander Zaitsev: Die Aufgabe dort ist von Anfang an klar. Ich war geboren, um ein Opfer zu sein. Dafür bin ich in diesem Stück da.

Aus Gesprächen mit Tänzern und Choreografen weiß ich, dass jeder eigene innere Erzählungen der Bewegungen in sich trägt.

Alexander Zaitsev: Das stimmt. Bei jeder Rolle, jedem Part, gibt es Dinge, auf die man achten muss. Aber am Ende gilt es, den eigenen Charakter zu finden. Hier hat jeder seine eigene Vorstellung. Das trifft auf jede einzelne Bewegung zu. Man kann nicht lügen auf der Bühne. Inneres Gefühl und Ausdruck sind essentiell.

Was haben Sie durch Glen Tetely über den Körper im Tanz gelernt?

Alexander Zaitsev: Glen Tetley hat keine klassischen Ballettwerke geschaffen. Der Körper bewegt sich bei ihm anders. Es gibt diese typische Tetley-Kontraktion. Die Bewegung und die Emotion kommen durch sie von ganz innen heraus. Und Tetleys Werke berge viele Gefühle.

Wie bereiten Sie sich auf eine Vorstellung von „Sacre“ vor?

Alexander Zaitsev: Schwer zu sagen. Jetzt, vor der Vorstellung, befinde ich mich bereits in meiner eigenen Welt. Ich weiß genau, wieviel Zeit ich davor für mich brauche. Ich konzentriere mich auf den Ablauf: Am Anfang das Solo, dann ein Weiteres, dann muss ich eine Weile warten, das dritte und Schwierigste kommt am Ende. Das ist der neuralgische Punkt des Stückes für mich: Ich muss bis zum letzten Punkt ausharren und die Kräfte bündeln, damit ich das letzte Solo noch mit viel Adrenalin und Energie gut zu Ende bringe.

Sie sprachen vorhin von der typischen Tetley-Kontraktion. Was meinen Sie damit?

Alexander Zaitsev: Damit ist diese von der Graham-Technik ausgehende, starke Bewegung des Oberkörpers gemeint, als ob sich dieser um eine Kugel wölbt.

Diese Bewegung ist kraftraubend.

Alexander Zaitsev: Ja. Sie ist sehr schwer. Der Solopart in „Sacre“ baut auf dieser Bewegung auf. Mir ist gelungen, den Punkt gefunden zu haben, an dem ich nicht gleich das Gefühl habe, zusammenzubrechen, sondern das Stück durchhalte. Ich habe gelernt, durchzukommen. Das schaffen nicht alle. Das letzte Solo funktioniert nur mit der richtigen Atemtechnik. Man muss gleichmäßig durchatmen.

Wie geht es Ihnen nach einer Vorstellung von „Sacre“?

Alexander Zaitsev: Ich fühle mich nie leer. Der Spannungsbogen in Tetleys „Sacre“ ist immer hoch. Ich nehme die Energie der ganzen Compagnie, der Tänzer, die hinter der Bühne stehen, wahr. Ich lasse meine ganze Energie aus mir heraus. Und das Publikum gibt mir die Energie wieder zurück.

Zu Ihrem Abschied tanzen Sie morgen zudem George Balanchines „Die vier Temperamente“ und die Solorolle in Braun in Jerome Robbins „Dances at a Gathering“. Gehen diese Parts leichter von der Hand?

Alexander Zaitsev: Sie sind anders, wobei mir ein Werk von Robbins zu tanzen etwas leichter fällt als ein Werk von Balanchine. „Dances at a Gathering“ ist romantisch. Ein wenig wie „Les Sylphides“. Die Choreografie birgt technische Herausforderungen, die man proben muss. Allerdings bin ich in Robbins Stück ein wenig freier in der Gestaltung. In Balanchines Werken ist der ganze Körper sichtbar. Man muss sehr geschmackvoll, darüber hinaus klar, präzise und verständlich tanzen.

Sie verlassen nach 17 Spielzeiten das Stuttgarter Ballett. Wie geht es Ihnen damit?

Alexander Zaitsev: Klar, der Abschied tut weh. Ich werde hier alles vermissen.

Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter?

Alexander Zaitsev: Ich versuche erst einmal als freischaffender Tänzer und Pädagoge zu arbeiten, da ich mich noch in guter Form fühle. Ich habe bereits einige Anfragen und Aufträge. Das ist schön.

 

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