„Endless“ von Nanine Linning. Tanz: Kyle Patrick und Mallika Baumann

„Endless“ von Nanine Linning. Tanz: Kyle Patrick und Mallika Baumann

Kein Trost, nirgends

„Endless“: Nanine Linning choreografiert in Heidelberg ein trauriges Tanzstück

Was die menschlichen Beziehungen angeht, scheint Linning kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Heidelberg, 09/12/2013

Die Welt steuert auf einen finalen Kollaps zu. Davon scheint Heidelbergs Tanzchefin Nanine Linning überzeugt: In „Voice over“ legte sie die Machtmechanismen bloß, die das gesellschaftliche Klima vergiften; in „Zero“ ließ sie eine spektakuläre Stunde Null folgen und im dritten Teil ihrer Trilogie, in der neuen Produktion „Endless“, ist sie menschlichen Beziehungen auf der Spur. Das fängt ganz viel versprechend an, wenn die Mitglieder ihrer Dance Company (vier Damen, sechs Herren, darunter einige Neuzugänge) paarweise regelrecht die Bühne stürmen, im typischen kraftvollen Stil, der so etwas wie ein Markenzeichen der vielfach preisgekrönten niederländischen Choreografin darstellt.

Aber zur Paarbildung kommt es erst einmal gar nicht – die Protagonisten schießen aufeinander zu, knallen passgenau ein paar Zentimeter voneinander entfernt auf den Boden, verfehlen sich gekonnt und verschwinden im selben Tempo wieder. Es dauert, bis die Leidenschaft ihr Ziel findet – und auch dann bleiben die unterschiedlichen Paare nur kurz an einander hängen. Zu Arvo Pärts Erfolgsstück „Tabula rasa“ stemmen die durchweg physisch starken Tänzer extravagante, waghalsige Hebefiguren. Es kommt sogar zu einem spektakulären Körperknäuel, in dem die Emotionen sichtbar weitergeleitet werden. Aber die Choreografin traut der ganz großen Leidenschaft keine Dauer zu: Das Energiefeuer verglimmt nach kurzem, intensiven Lodern. Was kommt danach? Erinnerung, vergebliche Sehnsucht, fatale Fremdbestimmung, verzweifelte Versuche der Zurückgewinnung und nicht enden wollender Schmerz.

Nanine Linning hat wieder mit der von Nederlands Dans Theater kommenden Lichtdesignerin Loes Schakenbos und mit dem Videofilmer Roger Muskee zusammengearbeitet; dabei herausgekommen ist ein Wechsel von Projektionen und Schattenspielen. Dabei wird das Bühnengeschehen, sogar teils von Live-Kameras eingefangen, sozusagen verdoppelt. Den technischen Bühnenzauber vervollständigt ein Laufband, gegen das sich so schön vergeblich ankämpfen lässt. Wieder hat die Avantgarde-Designerin Iris van Herpen die Kostüme entworfen: Für die Herren hat sie zum blanken Oberkörper weiße Großstadtindianer-Hosen entworfen, mit in Bewegung raschelndem seitlichen Gefieder. Die Damen tragen anfangs schlichte, weit schwingende Kleider in Unschuldsweiß, aber sexy geschlitzt; später zieren sie sich mit flaumigem, weichem Federschmuck geziert. Wenn es aber um Emotion pur geht, sind die Kostüme puristisch, fleischfarbene, schlichte Dessous.

Da trägt ein Paar quasi seine Haut zu Markte, aber die übrigen Tänzer der Kompanie (anonyme Mächte in Schwarz) sorgen dafür, dass die Beiden sich dann doch nicht kriegen: Sie werden geschoben, gezogen, getragen; viele fremde Hände schränken das Gesichtsfeld ein und versuchen quasi eine Gehirnwäsche von außen. Ein Mann und eine Frau schweben spektakulär in Hüftgurten vom Schnürboden herab, aber auch sie müssen mit ausdrucksvollen Sehnsuchtsbewegungen Vorlieb nehmen.

Ja, und dann lässt sich Nanine Linning davontragen auf der Welle von Schmerz und Vergeblichkeit, vielleicht auch von ihrer Musikauswahl, in der sie auf Spezialisten der spirituellen Überhöhung von Trauer vertraut: neben Arvo Pärt sind das Henryk Górecki und Joep Franssens. Den Abschluss des Abends bilden zwei ausgedehnte Pas de Deux. Im einen verschwindet die Frau zunächst deckungsgleich hinter dem Mann, der sich immer weiter besessenes Körperzucken hineinsteigert. Ihr Versuch, ihn am Ende aus seiner Isolation herauszuholen, scheitert wie auch der abschließende Versuch einer animalisch geprägten Liebe, sozusagen im Bärentatzengang.

Am Ende liegen die Männer jeweils zusammengekrümmt reglos am Boden. Bis dahin hat man viel Zeit – zu viel Zeit – darüber nachzudenken, wo eigentlich die frechen Frauengestalten hingeraten sind, die noch in „Voice Over“ über die Männer dominierten, und wo die Zukunftshoffnung, mit der „Zero“ einen versöhnlichen Ausklang fand. Was die menschlichen Beziehungen angeht, sieht Nanine Linning kein Licht am Ende des Tunnels. Und so endet das Stück „Endless“ also in einem langen, langen Lamento, vom Publikum mit freundlicher Ratlosigkeit quittiert.
 

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