Am Schauplatz des Krieges
„Warten auf die Barbaren“ von Iván Pérez in Heidelberg
Der Heidelberger Tanzchef Ivan Pérez macht sich rar. In dieser Spielzeit zeichnet er gerade mal für eine einzige Produktion als Choreograf verantwortlich – die abendfüllende Uraufführung ging gerade über die große Bühne im städtischen Theater. Allerdings hat er mit dem neuen Theaterabend ein ungewöhnliches choreografisches Statement abgeliefert, ganz anders als die gewohnten weitreichenden Erkundungen des Lebensgefühls der Millenium-Generation. Dafür hat er auf einen früheren Meilenstein seiner Karriere zurückgegriffen, noch vor dem Engagement in Heidelberg: die Choreografie „The male Dancer“ (2018) für die Pariser Oper in einem Tripple-Bill-Programm zusammen mit den choreografischen Schwergewichten Hofesh Shechter und Crystal Pite (mit ihrem Signaturstück „The Seasons Canon“). Sein damaliger Auftrag war es, männliche Ensemblemitglieder zeitgenössisch in Szene zu setzen, und dafür verordnete er den klassischen Tänzern einen queeren Kontrast zum genderstereotypen Männerbild im Ballett.
Für die Kostüme hatte er seinen Landsmann Alejandro Palomo verpflichtet, einen Shooting Star der Modeszene. Damals wiesen die Kostüme noch eine greifbare Ähnlichkeit zu dessen aktueller Modekollektion aus und konkurrierten durch klotzigen Trash eher mit dem sensiblen Bewegungsvokabular von Pérez. In „Silk“ dagegen haben Choreograf und Kostümbildner zu einer gemeinsamen Sicht auf das Thema gefunden: die Seide eben, weich und fest, bunt und schön. Anfangs sind die Tänzer*innen in hautenge, farblich schön abgestimmte Kokons gehüllt, bevor für sie für den zweiten Teil des 75-Minuten-Stücks zusätzlich mit einer meterlangen Drapierung aus Seidenchiffon ausgestattet werden. Die optischen Anspielungen reichen von Lendenschurz bis Toga, von Sari bis Schleier, von Cape bis Uniform – Seide ist schließlich seit Jahrtausenden ein Objekt der Begierde. Kein anderer Stoff ist gleichzeitig so stark und zart zugleich; zum Beweis ließen die Darsteller*innen die freien Enden ihrer Kostüme dekorativ flattern.
Vor oder besser in der Seide sind alle gleich. So hat Ivan Pérez, bislang eher für ein sensibles, individuelles, gefühlig ausgereiztes Bewegungsvokabular gut, seiner bunten Schar einen Gemeinschaftsauftritt verordnet, der Genderzuschreibung und Gefühlserkundung demonstrativ vermeidet. Wäre nicht der extravagante Rahmen, hätte man sich als Betrachter einer Vorzeigestunde in Soft-Yoga fühlen können. Es geht in fließende Bewegungen immer von einem Bein aufs andere, im endlosen Fluss den fleißigen Hängen vergleichbar, die seit Jahrhunderten Weberschiffchen führen. Die naheliegenden Bilder Webstuhl-Bilder von Kette und Schuss haben nicht nur Eingang in das choreografische Konzept gefunden, sondern auch in das Bühnenbild. Yoko Seyama (dem Heidelberger Publikum aus der Produktion „Reality and the Cosmos“ bekannt) benutzt einmal mehr raumhoch gespannte Elastikstreifen, die einen warm ausgeleuchteten Kubus (Lichtdesign: Ralph Schanz) umranden. Im Kokon-Teil des Stückes erinnern sie an Holzlatten, bevor sie im zweiten Teil effektvolle Auf- und Abtritte ermöglichen und lange mitschwingen dürfen.
Was ansonsten passiert, definiert vorrangig die Musik, eine experimentelle elektronische Auftragskomposition von Miguelángel Clerc Parada. Eingangs bekommt das Publikum bei geschlossenem Vorhang ordentlich was auf die Ohren – man hätte sich in einer Halle voll maschinell betriebener Webstühle wähnen können. In der Kokonphase dominiert elektronische Clusterbildung, während die bunten Schmetterlinge im zweiten Teil von rhythmischem Drive immer mehr angetrieben werden. Das alles greift in den besten Momenten passgenau ineinander und summiert sich zu einer attraktiven ästhetischen Wirkung. Nicht weniger – aber auch nicht mehr.
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