Tanz in Bern
Tanz in Bern

Gelenke wie Butter

Ein Zuschauer-Blog zu „d’après une histoire vraie“ von Christian Rizzo

Eindrücke junger Zuschauer zur Eröffnungsvorstellung bei Tanz in Bern

Bern, 23/10/2013

Das Festival „Tanz in. Bern“ in der Dampfzentrale Bern zeigt während zwei Wochen nationales und internationales zeitgenössisches Tanzschaffen. Die Festivalausgabe 2013 besinnt sich auch Qualitäten des Tanzes - auf seine Poesie, sein handwerkliches Geschick, seine formale Vielfalt und nicht zuletzt auf bewegende Körper bewegter Menschen.
Begleitend zum Festival schreiben Studierende der Hochschule der Künste Bern über die Aufführungen. Unter der Leitung der Dozentin Maren Rieger schärfen die Studierenden des Fachbereiches Theater ihre Wahrnehmung und beschreiben für sie besondere Momente auf und neben der Bühne: frech und subjektiv.


Das ausladende Buffet drückt mir gegen die Magenwand, als die Vorstellung losgeht. Zwei Schlagzeuger trommeln auf ihre Instrumente wie in einer Naturreligion. Tänzer in Jeans und T-Shirt wirken voll privat und bewegen sich in einem Metabolismus über die Bühne. Die Geschichte dahinter ist mir nicht klar, doch das ist mir egal, denn mit meinem Kopf schwinge ich in Trance mit dem Rhythmus mit und hoffe, dass sich meine Sitznachbarn nicht für mich fremdschämen. Der Tänzer tanzt im Stillen und so etwas habe ich noch nie gesehen und mir fällt ein, dass wir in unserer letzten Tanzstunde uns vorstellen sollten, dass unserer Gelenke aus Butter seien und ich denke mir, dass diese Tänzer es mit der Butter voll drauf haben.
Paulina


Mit wuchtigen Drums und wummernden Bässen startet die fünfte Ausgabe von Tanz in Bern in der Dampfzentrale. 8 Männer bewegen sich wellenartig zu den Klängen der beiden Schlagzeuge. In „d'aprés une histoire vraie“ sind die Darsteller ständig auf der Suche nach jemandem, der auf derselben Welle reitet oder jemandem, der sie für kurze Zeit begleitet, um dann plötzlich wieder alleine zu sein, um sich erneut auf die Suche zu machen. Die Schatten, die die weiß abgedeckte Bühne wirft und die unglaubliche Natürlichkeit der Tänzer überzeugt!
Linda


8 Tänzer verbinden sich, trennen sich, werden 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. Sie umarmen sich, stoßen sich weg, ziehen sich wieder heran. Paukenschläge treiben die Zuschauer und dann endlich auch die Tanzenden. Schneller, immer schneller umwirbeln sie sich, scheinbar ohne Kraftaufwand, leicht und doch energiegeladen. Bis es mit einem gemeinsamen Schrei hält - Stille - Langer Applaus und hochzufriedene Gesichter auf Bühne wie Tribüne.
Gian Leander


Auf der Bühne steht im Hintergrund ein Podest mit zwei Schlagzeugen, es wartet auf zwei Männer mit beeindruckender Haarpracht und Schlagkraft. Der erste Tänzer tritt auf, zieht seine Schuhe aus und stellt sie ordentlich ab, vor dem Tanzteppich zum Publikum hin. Die werden heute wohl nicht zertanzt.
Weitere Männer mit feinem, glattem, lockigem und vollem Haar, das ihnen ins Gesicht fällt, seitlich gescheitelt oder locker gestrählt, betreten nach und nach die Bühne und bewegen sich nach irgendwie bekannten tänzerischen Mustern. Nach einer gefühlten halben Stunde Warmup der Gelenke und Wirbel mit folkloristischen Elementen stehen die acht Tänzer für einen Moment still: Und tatsächlich, hier kommt der headbanger, yeah, baby, yeah, wild wehen Künstlermähnen vor weißem Tanzboden, yeah. Aber Wacken ist weit - die Bilder von bewegten Männern, die sich selbst befreien und sanft und kraftvoll Kontaktimprovisieren, erreichen mich leider nicht. Ein kollektiver orgasmischer Schrei von der Bühne kündet das Ende ihrer Vorstellung an. Tosender Applaus des Publikums! Ich summe auf dem Heimweg: Schüttel Dein Haar für mich, baby, baby, baby, wildes Mädchen, schüttel dein Haupthaar für mich...
Maren


Lockere Straßenkleidung, wilde Frisuren, zwei Drumsets, ein Stuhl und eine kleine Palme, die an Ferien erinnert. Obwohl die Bewegungen der Tänzer für mich anfangs sehr wirr erschienen, wurde mir mit der Zeit immer deutlicher wie präzise diese eindrückliche Choreografie koordiniert war. Jeder Handgriff, jeder Schritt, sogar das anscheinend 'lockere Rumstehen' der Tänzer war bis auf das kleinste Detail geplant. Mein Fazit: Hab sowas noch nie gesehen und bin sehr beeindruckt! Klasse!
Julian


Menschlicher Versuch menschlich zu sein? Und ausgerechnet nur mit Männern? 8 Tänzer und 2 Schlagzeuger, ein bewegender Abend unglaublicher Ensemblearbeit und höchster Synchronität. Über die natürliche Suche nach dem Partner, dem natürlichen Problem einer Dreierkonstellation. Stellte man sich hier Frauen vor, würden diese den Ablauf wohl nur stören, langhaarige, bärtige Männer erweisen größte körperliche Sensibilität und gefühlvolle Durchlässigkeit, die fasziniert und dennoch keine Antwort auf die Fragen der menschlichen Bedürfnisse gibt. Die Beats der Drummer assoziieren den Herzschlag des Ursprungs, die Fragen verbinden das Paradies mit der heutigen Suche jedes Individuums nach Harmonie, wie auch immer.
Melina


Auf der weißen Oberfläche bewegen sich tanzende Schatten in Symbiose zu den Klängen der Perkussion. Sieben von ihnen verschwören sich gegen einen einzelnen. Die Verschworenen wiegen sich in kameradschaftlicher Sicherheit, doch der Schein trügt: Nur einer von Acht ist letzten Endes noch auf den Beinen und geht ab. Zum Glück hält die Zukunft weitere Überraschungen für uns bereit, sonst fände „Fragment uit the Discovery of the Future“ ein allzu jähes Ende.
Nico


Organische, männliche, konzentrierte und faszinierende Kraft und Intimität konnte ich in „D'après une histoire vrai“ in der Eröffnung zu Tanz in Bern in der Dampfzentrale genießen. Ein Abend voller bemerkenswerter Momente. Ein Mann kommt auf eine bis auf spärliche Requisiten in der vorderen Ecke leeren Raum, Stille. Seine Bewegungen wirken natürlich, beinahe alltäglich und gleichzeitig wie verlangsamt und wieder beschleunigt; Rhythmus scheint hier nicht nur wegen der zwei hervorragenden Percussionisten zentral. Nacheinander kommen mehr Tänzer dazu, bis es 8 sind, die gemeinsam eine Geschichte über Intimität, Sexualität und Geborgenheit erzählen, die mir sehr viel Platz zum Interpretieren und Weiterträumen lässt. Ein beeindruckender Abend.
Anne


Acht Darsteller, Tänzer, Männer. Mit einem Einstieg voller beweglicher Leichtigkeit zeigten sie eine unerwartete körperliche Verbindung in sich, mit den Partnern und in der Gruppe.
Das Bühnenbild; reduziert in unauffälligem Licht, auf weißem Untergrund standen am rechten Bühnenrand eine Kaktee(?), Schaukelstuhl und zwei handgroße Kugeln. Dieses vermittelte einen bewusst durchdachten Eindruck und passend gewählt zu den Tänzern, die am Beginn des Stückes die Form der Pflanze für einige Bruchteile aufnahmen und somit eine Einheit zum Bühnenbildes bildeten.
Begleitet von zwei Schlagzeugern rutschte der Zuschauer immer tiefer in einen Trancezustand, der den Rhythmus mit den Bewegungen im harmonischen Einklang fühlen ließ.
Mit oder ohne Rhythmus der Musik standen die Bewegungen jedes Einzelnen im Vordergrund und auch die Stille gefüllt durch Körperlichkeit erzeugte Spannung und vor allem Authentizität.
Marian


Der Moment, der mir am stärksten in Erinnerung geblieben ist, befand sich gegen Ende der ersten Hälfte des Abends. Sechs der acht Tänzer liegen verteilt im Raum, die beiden übrigen im Fokus sind aufrecht, halten sich aneinander fest und bewegen sich bedächtig vorwärts, mal synchron als seien sie ein gemeinsamer Körper, mal so als würden sie sich gegenseitig stützen, oder einander helfen, Hindernisse zu überwinden: Wie zwei Brüder, die sich durch eine Mondkrater-Landschaft bewegen, entschleunigt, versunken, gedanklich ganz bei sich und beieinander. Diese Art von Konzentration steht für mich sinnbildlich für den ganzen Abend: Eine Innigkeit, die es nicht nötig zu haben scheint, sich zu „präsentieren“ oder das Publikum überhaupt wahrzunehmen.
Fabian

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