Mund auf, Augen auf!
Zum Gastspiel „Ghost Track“ von Leineroebana in Darmstadt
Fulminante Österreich-Premiere des niederländischen Ensembles Leine-Roebana mit „Ghost Track“ in Innsbruck
Und es funktioniert immer besser: Das aufeinander zu Tanzen und ineinander Verschmelzen von (auch religiös) so unterschiedlich geprägten Tänzern wie jenen, die mit der Produktion „Ghost Track“ in der Innsbrucker dogana zum Abschluss des Osterfestivals Anfang April Publikum und Kritik begeisterten. Das in Holland ansässige Choreografen-Duo Andrea Leine und Harijono Roebana verfolgt in dem neunzigminütigen Abend das kreative, mit zeitgenössischem Anspruch angelegte Zusammenführen der traditionellen Tanzkultur aus dem indonesischen Java mit ihrem eigenen, westeuropäischen modernen Stil.
Roebana hat zwar indonesische Wurzeln, mit der sehr erdigen, auf exakten kantigen und eckigen Bewegungen beruhenden javanischen springfreudigen Tanzform aber hatte er bislang selbst nichts zu tun. Über das Einüben der Unterschiede und das Auflösen derselben haben sich dann auch fünf westliche und drei indonesische Tänzer in mehreren Arbeitsetappen befasst. Es war eine große Neugier von Anfang an da, auf beiden Seiten, erzählt Roebana, und wir haben uns daran gewöhnt, dass die muslimischen Tänzer Unterbrechungen brauchten, um ihre Gebete sprechen zu können.
Auslöser zur 2012 in Jakarta herausgebrachten Produktion war der Klang der Gamelan-Musik, allerdings nicht jener eines traditionellen Ensembles, sondern der aus Live-Spiel und Elektronik kombinierten, erneuerten Auffassung des auch bei Dieter Mack ausgebildeten, indonesischen Komponisten Iwan Gunawan. Mit seinem in Bandung ansässigen Ensemble Kyai Fatahillah macht er mit einer ganz speziellen Ausprägung eines immer wieder westlich angehauchten Klangbildes Furore. Seine rhythmischen Sequenzen werden mit Verfahren von Philip Glass und Steve Reich verglichen.
„Ghost Track“ erzählt im üblichen Sinn auch keine Geschichte, sondern entwickelt sich auf der Bühne als intensive Kooperation von Musikern, Sängern und Tänzern. Die Tanzsprachen muten nicht weniger abstrakt an als die Musik. Das Narrative, das indonesischen Tänzen auch anhaftet, spielt hier so gut wie keine Rolle, auch wenn es Auftritte von Sängern gibt, die mythische Stoffe und damit auch den Stück-Titel verklausuliert transportieren. In den Soli, Duetten und Ensemble-Szenen passiert etwas ganz Erstaunliches: Das, was die letzten Jahre in einem großen Teil der europäischen zeitgenössischen Tanzszene nicht mehr zählte, das Auseinandersetzen mit einer körperbasierten, eben physikalischen Formensprache, funktioniert hier plötzlich wieder und zwar als Anreiz und Vermittler zwischen den Kulturen. Das sogenannte Andere fungiert mit einem europäischen Blick als vitaler Transformator für den zeitgenössischen westlichen Tanz.
Vor mehr als hundert Jahren war das schon einmal ähnlich da, allerdings vorbildhaft und kopierreif für die jeweils andere Tanz-Kultur und weniger interkulturell. Für Festival-Kuratorin Hannah Crepaz, die das von Beginn an, vor 25 Jahren, auf zeitgenössische und alte Musik und eben solchen Tanz ausgerichtete Festival von ihren pionierhaften Eltern übernommen hat, ein Beweis, das sich die Offenheit für die Welt-Kulturen auch im engen Innsbruck auszahlt.
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