Addicted to Balanchine
Stefano Giannetti choreografiert „Die Vier Jahreszeiten“ am Pfalztheater Kaiserslautern
Beglückende „Begegnungen“. Pfalztheater Kaiserslautern feiert seinen 150. Geburtstag mit einem Tanzprojekt
Beglückende „Begegnungen“ spielen sich auf der Bühne des Pfalztheaters Kaiserslautern ab. Getrennt haben sie geprobt, das Ballett, das Orchester, der Chor und last not least die 160 Laien, die bei der Hauptprobe zum ersten Mal, gemeinsam mit den Profis auf der Bühne stehen. Es war der Wunsch des Intendanten Urs Häberli zum 150. Jubiläum des Theaters das Haus zu öffnen und möglichst vielen unterschiedlichen Menschen die Gelegenheit zu geben, Teil eines Bühnenwerkes zu werden.
Die Musikdramaturgin Tanja Hermann hat ein Tanzprojekt vorgeschlagen, passend zum Verdi-Jahr (1813-1901) dessen „Messa da Requiem“ (1874) ausgesucht und dazu ein Libretto geschrieben. Die Totenmesse, die Verdi dem Schriftsteller Allessandro Manzoni (1785-1873) gewidmet hatte und die bei dessen erstem Todesjahr uraufgeführt worden war, hat Stefano Giannetti inszeniert und zusammen mit Salvatore Nicolosi in Tanz umgesetzt.
Weil jedem Ende auch die Chance des Neuanfangs inne wohnt, lässt Hermann, parallel zur liturgischen Musik, Manzonis Geschichte „Die Verlobten“ laufen: Lucia und Renzo möchten heiraten, doch Lucia wird auch vom Lehensherrn Rodrigo begehrt. Seine Vasallen stiften Chaos, um die Geliebten zu trennen. Verstört und verängstigt fliehen Lucia und Renzo. Schließlich findet Lucia Zuflucht in einem Kloster, ist aber verzweifelt, weil sie den Geliebten verloren hat und keinen Ausweg sieht. Ebenfalls traurig über den Verlust seiner Geliebten irrt Renzo durch Wälder und Dörfer, während das Volk unter der Obrigkeitswillkür leidet. Im Land bricht ein Krieg aus, Hunger und Pest wüten, Kriegsheere plündern, brandschatzen und hinterlassen eine komplette Verwüstung, bevor sich die beiden zu guter Letzt wieder finden.
Hinten auf der Bühne sitzt das Orchester, davor ist der Chor aufgereiht, im Vordergrund inszeniert Giannetti die Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen. Durchzogen von klar geführten Bewegungschören, tanzt das Ballett, klassisch, dennoch barfuß. Zart wie eine weiße Wolke fliegt Lucia, alias Eleonora Fabrici zwischen den Kontrahenten Renzo und Rodrigo hin und her. Bedrohlich in Rot getaucht wütet der Zorn Gottes über den Menschen, die Leid, Angst und Unheil ausgesetzt sind. Vom „Requiem aeternam“ und „Kyrie“ über „Sanctus“, „Agnus Dei“, „Lux aeterna“ und „Libera me“ bis hin zum „Dies irea“ und dem abschließenden „Requiem aeternam“ spannt sich der Bogen dieses Gesamtkunstwerks aus 22 musikalischen Nummern. „Die Verknüpfung besteht darin, dass das, was ich aus dem Roman zum Libretto verarbeitet habe, szenisch an die Musik Verdis angepasst wurde“, erläutert Hermann.
„Beeindruckend!“ finden Zuschauer nach der Hauptprobe das anderthalbstündige Werk und bewundern die Leistung der Darsteller. „Ein Casting gab es nicht“, sagt die Dramaturgin und ergänzt: „Wir haben Kontakt zu einzelnen Einrichtungen aufgenommen und diese als Partner aufgenommen und es öffentlich in unserer Theaterzeitung ausgeschrieben. Wer Lust und Durchhaltevermögen hatte, machte mit.“ Damit war auch der Ballettchef einverstanden: „Jeder, der mitmacht, soll einfach er selber sein“, so Giannetti, der überzeugt ist, „dass man von jedem Menschen etwas lernen kann“. Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, Alt und Jung, Menschen mit und ohne Behinderung − auch Generalmusikdirektor Uwe Sandner ist erstaunt: „Neu war für mich, sinnlich zu erfahren, dass jeder ein Künstler ist. Wie Menschen, die vorher nichts damit zu tun hatten, plötzlich über sich hinauswachsen und was sie aus sich herausholen, ist faszinierend.“ Und der Tänzer und Ko-Choreograf Salvatore Nicolosi sagt: „Wenn ich mit ihnen tanze, fühle ich genau dasselbe wie sie. Das war die Idee des Projektes: Alle zusammen eins sein“.
Großes Lob auch von Seiten der rheinland-pfälzischen Ministerin Doris Ahnen (SPD), die sich die Hauptprobe angeschaut hat: „Es war wunderbar!“ Vorher habe sie sich nicht vorstellen können, was es werden wird. Dennoch hat das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (man beachte die Reihenfolge) das Projekt mit 80.000 Euro unterstützt. Was sie an Bildern und großen Emotionen gesehen und erlebt habe, „da läuft es mir noch immer kalt den Rücken runter. Herzlichen Dank! Ich verneige mich vor Ihnen, Sie haben mir eine große Freude gemacht“ sagt die Politikerin, die gesteht, es sei oft schwierig, zu erklären was Inklusion sei. Wer das wissen will, der soll sich einfach diese wunderbare Vorstellung anschauen.
Als Vorspann zur Aufführung läuft ein Video, in dem auch viele der teilnehmenden Kinder zu Wort kommen. Aus den Äußerungen wird deutlich, wert- und sinnvoll ist das Projekt nicht nur aus kultur- und bildungspolitischer Sicht, sondern auch, weil es die Lust zu tanzen anregt − vielleicht sogar nachhaltig: „Ich tanze schon lange und bin auf die Idee gekommen teilzunehmen, weil meine Tanzlehrerin gesagt hat, dass wir das machen könnten.“, sagt Malikah, 7 Jahre aus Ramstein. „Es ist schön hier, es macht Spaß. Ich wollte schon immer tanzen. Das ist ungewohnt für mich auf der großen Bühne zu tanzen. Mit ganz verschiedenen Leuten zu tanzen ist auch toll.“, findet die Siebenjährige. Der elfjährige Jonas aus Landstuhl erzählt: „Hab noch nie getanzt. Meine Mutter hat eine Ballettschule und wollte, dass ich mittanze. Aber jetzt macht es mir Spaß. Es sind Erwachsene, Jugendliche und wir Kinder. Jetzt will ich mehr tanzen!“
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments