Abschluss einer Ära
Mit den Hamburger Ballett-Tagen endet die Intendanz John Neumeiers
Der Name war hier eher nicht Programm, denn seine Unschuld verloren hat das Bundesjugendballett nicht erst mit diesem fulminanten Abend. Wohl aber hat es gezeigt, was es in den drei Jahren seiner Existenz und was die jetzigen acht Tänzerinnen und Tänzer seit einem Jahr gewonnen haben. Vier Ballette von drei Choreografen hatten Kevin Haigen, künstlerischer und pädagogischer Leiter des Ensembles, und Yohan Stegli, Ballettmeister und Stellvertreter von Kevin Haigen, zusammengestellt. Drei nahezu ausverkaufte und vom Publikum heftigst bejubelte Vorstellungen am vergangenen Wochenende in der Hamburger Kampnagelfabrik zeigen nicht nur, wie vielfältig dieses Ensemble agieren kann und auf welch hohem Niveau es sich bewegt, sondern sie sind auch der beste Beweis dafür, dass sich das Bundesjugendballett zu einer festen Größe in der deutschen Tanzszene entwickelt hat.
Los ging's mit dem wohl pfiffigsten und schmissigsten Stück des Abends: „Songs & Chansons“ in der Choreografie der Kroatin Masa Kolar. Fünf Lieder hatte sich Kolar dafür ausgesucht – darunter so bekannte Songs wie „C'est magnifique“ und „Let's do it“ von Cole Porter, oder auch den Musette-Walzer „La Valse Brune“ von Georges Krier. Eine grandiose Eröffnung des Abends voller Lebensfreude, Witz und Raffinesse pur, eine punktgenaue, ebenso abwechslungsreiche wie amüsante Choreografie, in der alle acht TänzerInnen genussvoll badeten. Das war ganz großes Kino und ein vielversprechender Auftakt, gekonnt dargebracht auch von den MusikerInnen Clara-Marie Pazzini (Sopran), Camille Guénot (Flöte), Pierre Xhonneux (Klarinette), Martin Emmerich (Violine), Jakob Stepp (Violoncello), Fabian Wankmüller (Klavier) und Viktor Pribylov (Akkordeon).
Ein kompletter Kontrast dazu dann „Helmbedeckt“ in der Choreografie von Patrick Eberts, der von 2011-2013 selbst Tänzer beim BJB war und seither als freischaffender Tänzer und Choreograf arbeitet. Es ist ein leises, eher elegisches Stück zu Klaviermusik von Eric Satie und Claude Débussy, die Christopher Park einfühlsam spielt, ein souveräner Begleiter des Tanzes. Natürlich geht es um den Krieg in diesem Stück, natürlich um die Verzweiflung von Soldaten und Daheimgebliebenen. Es geht um Zuneigung und Abstoßung, um Liebe und Sehnsucht und Nachdenklichkeit. Ein erstaunlich reifes Werk für einen erst 22-Jährigen. Die acht TänzerInnen bewältigen den Wechsel von der heiteren, frivolen Leichtigkeit des ersten Stücks zu dieser Melancholie und Innerlichkeit mit Bravour.
Noch anspruchsvoller, vor allem was die tänzerische Virtuosität betrifft, wird es danach mit den 1976 uraufgeführten „Petruschka-Variationen“ von John Neumeier zu den „Trois Mouvements de Pétrouchka“ von Igor Strawinsky (die Christopher Park virtuos auf dem Flügel spielt). Dieses Werk hat nichts zu tun mit dem Ballett „Petruschka“, sondern ist eine eigenständige Kreation für sechs TänzerInnen. Dennoch ist die Assoziation von an Fäden gezogenen marionettenhaften Puppen-Figuren zwingend – wobei sich Neumeier relativ streng an Stimmung und Rhythmus der Musik orientiert. Das ist amüsant und schwermütig zugleich – und in seiner mit ausgebufften Schwierigkeiten gespickten Bewegungssprache eine sehr besondere Herausforderung. Diese frühen Neumeier-Stücke haben es sowohl technisch wie musikalisch in sich – und Sara Coffield und Yehor Hordiyenko werfen sich mit Feuereifer in diese Aufgabe, ebenso wie Maria del Mar Hernández, die phänomenale Madoka Sugai (die ab der nächsten Spielzeit als Aspirantin beim Hamburg Ballett tanzen wird), Nicolas Gläsmann und Hélias Tur-Dorvault.
Nach der Pause dann ein weiteres Kleinod aus dem Schaffen von John Neumeier: „In the Blue Garden“, das 1994 in Hamburg uraufgeführt wurde, damals mit den unvergessenen Gamal Gouda, Gigi Hyatt, Chantal Lefèvre, Janusz Mazon und Eric Miot. Der blaue Garten, das ist die Stätte rätselhafter Begegnungen, des Kommens und Gehens, der Sehnsucht und Begierde, des Gewinnens und Verlierens, des Wandels und Neubeginns. Neumeier hat das Stück für das BJB auf dessen Bedürfnisse adaptiert, vor allem auf die Zwänge einer sehr viel kleineren Bühne, wie es die K2 auf Kampnagel und diverse andere Aufführungsorte nun einmal erfordern. Das ist nachvollziehbar, und doch verlieren solche Stücke ebenso wie die „Petruschka-Variationen“ einen Gutteil ihrer Magie, wenn sie nicht auf einer großen Bühne gezeigt werden, wenn die Zuschauer zu dicht am Geschehen sind, wenn bei der Technik Abstriche zu machen sind, vor allem beim Licht – das gerade bei „In the Blue Garden“ die gesamte Szenerie normalerweise in ein transzendentes Blau taucht. Dieses Irrlichternde, Geheimnisvolle, Träumerische geht dann verloren. Nicht jedoch die Intensität der Choreografie, die vor allem zum Schluss in dem Pas de Deux des rätselhaften „Er“ und dem Mädchen deutlich wird. Yohan Stegli als „Er“ – erstmals seit seinem Bühnenabschied vor drei Jahren wieder als Tänzer zu sehen – hat nichts von seinem Können verloren. Er entfaltet einen Sog, der nicht nur das Mädchen (zart und fast feenhaft: Jemina Bowring, auch sie wird als Aspirantin ins Hamburg Ballett übernommen), sondern ebenso alle anderen Beteiligten, und das Publikum ohnehin, in seinen Bann schlägt.
Bleibt zu hoffen, dass die Förderung der Bundesregierung diesem hoffnungsvollen Ensemble auch weiterhin erhalten bleibt.
Weitere Aufführungen von „The Loss of Innocence“ am 28. Juni 2014 im Stadttheater Hildesheim sowie beim Musikfestival „Young Euro Classic“ am 11. August 2014 im Admiralspalast in Berlin
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