„Cassette – nach Nussknacker“ von David Wampach

„Cassette – nach Nussknacker“ von David Wampach

Spektakel mit weihnachtlicher Botschaft

David Wampach und seine „Association Achles“ mit „Cassette – nach Nussknacker“

Aufführungen von „Nussknacker“ in allen möglichen Versionen gehören weltweit bei Ballettkompanien zum weihnachtlichen Ritual. Jetzt hat sich auch Kampnagel in diesen Reigen eingereiht, allerdings auf die ihr eigene, etwas schräge Art und Weise.

Hamburg, 13/12/2014

Aufführungen von „Nussknacker“ in allen möglichen Versionen gehören weltweit bei Ballett-Kompanien zum weihnachtlichen Ritual. Jetzt hat sich auch Kampnagel Hamburg in diesen Reigen eingereiht, allerdings auf die ihr eigene, etwas schräge Art und Weise: mit „Cassette – nach Nussknacker“ von David Wampach.

„Cassette“, das ist eine Kurzfassung des französischen Wortes für Nussknacker „casse-noisette“. Natürlich ist das keine Adaptation im ursprünglichen Sinne, sondern eine sehr freie und dem Wortspiel entsprechend verkürzte Interpretation, die sich vor allem auf den zweiten Teil des Balletts bezieht, mit seinen spanischen, arabischen, chinesischen und russischen Tänzen, die als Divertissements der Unterhaltung dienen. Wampach nutzt die Partitur von Tschaikowsky als Grundlage, verfremdet sie dann aber zu rhythmisch dominierter elektronischer Musik, bei der nur noch die Grundmelodien an das Original erinnern.

Los geht’s auf gänzlich dunkler Bühne, die lediglich von einem vor und zurück wandernden grünen LED-Lichtkegel beleuchtet ist. Er erfasst die Silhouetten zweier Figuren, die nur im Umriss erkennbar sind. Eine beginnt zu sprechen und erzählt mit dramatischer Betonung das Nussknacker-Märchen, allerdings nicht die süßliche Märchen-Variante, sondern eine Adaptation der alten Fassung von E.T.A. Hoffmann. Auch da hat Marie Geburtstag, auch da bekommt sie einen Nussknacker, dieser lockt sie jedoch in einen düsteren Wald, wo sie alsbald von Ungeheuern zerfleischt wird – Fantasy lässt grüßen. Während dieser Erzählung (auf Französisch gesprochen, mit deutschen Übertiteln via Beamer) kreiselt die andere akrobatisch um sie herum, spreizt die Beine und reckt sie in die Höhe.

Der grüne Lichtkegel erlischt, die beiden verschwinden ins Dunkel. Im Hintergrund öffnet sich der Vorhang und entlässt nacheinander vier Paare. Wie in einer Revue staksen sie hüftenschwenkend von hinten nach vorne – in gewagt offenherzigen Kostümen, mit aufreizenden Posen, und in Tanzschuhen, wie man sie für die Standard- und lateinamerikanischen Turniertänze verwendet. In diesem Stil geht es auch weiter – das ganze mutet an wie eine Persiflage auf die Show, die Tanzpaare bei diesen Wettkämpfen abziehen, diese obszön knappen Kostüme, dieses übertrieben aufreizende, grell geschminkte Getue. Wampach krönt das noch mit affektiert aufgerissenen Mündern, spitzen Schreien und laszivem Stöhnen – busenfreies Trikot (bei einer der Tänzerinnen) inklusive – mal auf dem Tanzteppich, mal auf dem Präsentierteller in Form eines fahrbaren erhöhten Plateaus. Das kommt einem Softporno oder der sattsam bekannten Werbung für körperliche Dienstleistungen in Internet und TV stellenweise schon vertrackt nahe.

Es habe ihn gereizt, so geht es aus einem im Programmzettel abgedruckten Interview mit David Wampach hervor, herauszuarbeiten, ob „der zeitgenössische Tanz noch in der Lage“ sei, uns zu unterhalten, wenn ja, wie, und „ob ein Unterhaltungsspektakel verurteilt“ werden würde. Und ein solches Spektakel ist „Cassette – nach Nussknacker“ zweifellos. Ein recht atemloses noch dazu. Denn die vier exzellent agierenden Tanzpaare leisten Schwerstarbeit – ein Auftritt jagt den nächsten, und das alles in hohem Tempo.

Was anfangs noch als amüsanter, beachtlich präzise getanzter Ulk daherkommt, lässt einem mit der Zeit jedoch das Lachen im Halse steckenbleiben und das Grinsen gefrieren – und nachdenklich werden. Genau darin besteht das Verdienst dieses knapp 70-minütigen Spektakels: Dass einem bewusst wird, wie oft wir selbst in dieser Art übertrieben handeln, zu exaltierten Selbstdarstellern werden. Und so hat diese „Cassette“ doch tatsächlich auch noch eine weihnachtliche Botschaft: Besinne dich mehr auf die inneren Werte als auf das äußerliche, oberflächliche Glitzer-Lametta.
 

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