Probe mit Marcia
Intime Einblicke beim „Training zum Zuschauen“ mit Marcia Haydée beim Staatsballett Berlin
Beim Staatsballett Berlin treibt „Don Juan“ sein erotisches Unwesen
Eine Ära geht zu Ende: Nach zehnjähriger Intendanz verlässt Vladimir Malakhov Berlin, hat sich mit „seinem“ Staatsballett von den Fans in zwei bewegenden Vorstellungen, als Caravaggio und Tschaikowsky, würdig verabschiedet. In die Hölle freilich muss er nicht wie Don Juan, Protagonist der letzten Premiere unter der scheidenden Leitung. Furien, seien es die eigenen Zweifel oder ungute Einflüsse, mögen den Ex-Starballerino wohl schon zeitweilig heimgesucht haben. Für die Uraufführung um jenen legendenumwehten Frauenverführer, der seine Sünden mit dem Leben zu büßen hat und trotzdem bis heute von so manchem wegen seiner Hemmungslosigkeit heimlich beneidet wird, hat sich Malakhov einen Garanten gehobener Unterhaltung geholt.
Giorgio Madia, Italiano mit großer Tänzerkarriere, verdankt die Kompanie „Alice's Wonderland“ sowie „OZ – The Wonderful Wizzard“, zwei von der Kritik eher gescholtene, vom Publikum bejubelte Tanz-Entertainments. Nun greift er nach dem literarischen Prototyp ungezügelter, von moralischen Skrupeln unangewehter Lust. Und holt ihn vom hehren Podest in die lichten Gefilde der Commedia dell'arte. Das beschert Zusehlaune, ohne dass die Figur dabei zum Zerrbild ihrer selbst diffamiert würde.
Mit Würde stolziert Don Juan durch 90 pausenfreie Minuten über die Szene der Komischen Oper. Die hat Cordelia Matthes in ein schlicht graues Kabinett verwandelt: mit klappenden Wänden und reichlich Türen. Sie bieten mit ihrem ständigen Auf und Zu bei den vielen Auftritten und Abgängen ein bisweilen sehr witziges eigenes Ballett im Ballett. Eine ebenfalls graue Kurtine weist auf eine Vorstellung in der Vorstellung hin, vor ihr agieren die Charaktere, huschen dann in das Kabinett zu mannigfaltigen Verwicklungen. Dass sich dabei Amüsement und Ernst wohltariert die Waage halten, dafür steht Madias komödiantisches Gespür. Denn zusätzlich zu der Personnage, wie sie Christoph Willibald Gluck 1761 zu Wien in seiner wegweisenden Ballett-Pantomime „Don Juan oder Das steinerne Gastmahl“ vorgegeben hat, fügt Madia, mittelalterlicher Tradition folgend, die Gestalt des Todes und ihres Fiedlers mit der Geige hinzu. Er zieht vor der Kurtine warnend seine Bahn – und trägt doch selbst lüstern den Po frei in Bruno Schwengls insgesamt deftigem Kostümbild, das auf Schwarz und helle Farbtöne setzt. In rund 35 kurzen Szenen rollt das Geschehen ab und greift Madias Markenzeichen auf: Handlung im Videoclip-Trip zu erzählen, sich nicht zu lange mit Soli und Duetten aufzuhalten, die wenigen jedoch perfekt zu formulieren.
Auch die vier Damen, denen der Don den Kopf verdreht, Elena Pris als Anna, Ilenia Montagnoli als Isabelle, Nadja Saidakova als Elvira und Iana Salenko als Elisa, jede brillant in ihrem Part, lassen sich willig erobern, mit Liebesgestöhn, auf dem Festmahlstisch oder der Grabplatte. Acht Paare mit imitierten Genitalien am Kostüm grundieren die Commedia und werden am Ende zu illustren Furien. Der erstochene Kommandeur in Silber hat da seine Rache genommen, Diavolo den Don im Spiegel mit sich selbst konfrontiert und schließlich mit in die Unterwelt gezerrt, wo ihm alle Türen für weitere Abenteuer verschlossen bleiben. Nur Diener Zanni, die heiterste, bestgeformte, zudem in Vladislav Marinovs überragender Interpretation plastischste Figur, entkommt dem Diavolo, noch. Madia erzählt das stringent und mit viel Sinn für winzige Bewegungsdetails, auf Spitze für die Frauen, in einem den klassischen Fundus modern weitenden Duktus. Mögen ein paar Längen zu Buche schlagen: Szenen wie das Verlobungsfest von Elisa und ihrem Carino, den Juan, Zanni und Assistenten immer wieder geschickt ausblenden, machen das wett. Musik von Gluck, außer der namensgleichen Pantomime aus verschiedenen Opern und Sinfonien, geleiten durch einen Abend vom Band. Lediglich die Violinistin Lidia Baich, Arrangeurin der Collage, agiert live mit und ist Michael Banzhaf als einem Diavolo von starker Persönlichkeit seine blühend musizierende Aufspielerin. Und Don Juan? Als der herrscht Leonard Jakovina, nobel, kühl distanziert, präzis und hebestark in den Duetten, über Menschen und Maschinen, wenn er Nebelwände und Dunkelheit durchdringt.
Wieder 30.6., 2.& 6.7., Komische Oper
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